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Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Titel: Weinzirl 04 - Gottesfurcht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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in Miami, ich nehme auch nicht an, dass das Modell von ihm stammt.
Er schnitzelt eigentlich gar keine religiösen Themen, eher Holzspielzeug,
Schnürlkasperles und moderne Einzelstücke. Aber über den armen Adi Korntheurer
so zu reden! Der Mann ist seit fünfzehn Jahren sehr krank, eine Zeckeninfektion
blieb unerkannt. Er bewegt sich sehr langsam und kann sich schwer artikulieren.
Er geht Lutz ab und zu bei Großaufträgen zur Hand. Nun ja, der Hubert
Hareither, der, ja, der …«
    Baier hatte Helga
Kölbl die Hand auf die Schulter gelegt. »Liebe, verehrte Frau Kölbl, Sie müssen
jetzt nicht denken, dass Sie verantwortlich sind, wenn wir uns Hareither
vorknöpfen. Das hätten wir so oder so getan. Kürzt nur das Procedere ab.«
    Liebe-verehrte-und-Procedere-Baier
versetzte Gerhard immer wieder in Erstaunen. Manchmal kramte er Worte unter
seiner rauen Schale hervor, Herrschaft Zeiten. Gerhard schmunzelte, und es war
wie eine Heilung. Mit dem Schmunzeln waren auch die beunruhigende
Winter-Melancholie und die Seelenkälte der Raunächte vertrieben.
    Helga Kölbl sah
Baier ernst an. »Das weiß ich. Aber es erscheint mir dennoch wie der Verrat an
einem Kollegen. Hubert Hareither schnitzt religiöse Motive. Er ist, ja er muss
ein Günstling der Götter sein, denn er ist wirklich ein begnadeter Schnitzer.
Er hat goldene Hände. Er haucht dem kühlen Holz solches Leben ein, so viel
Wärme. Er hat immer die Ansicht vertreten, dass er Gott für diese Begabung zu
danken habe. Und er dankt es ihm mit den schönsten Krippenfiguren, die
Oberammergau je hervorgebracht hat. Hubert ist ein zutiefst religiöser Mensch,
Mord passt niemals zu ihm.«
    »Das unterstellen
wir auch nicht«, sagte Gerhard und insistierte: »Aber können die Modelle von
ihm stammen?«
    »Ja, ich denke, ich
befürchte, ich …«
    Josefa Heringer
mischte sich ein. »Der heilige Georg ist von ihm. Ich habe ihn bei ihm gesehen.
Schorsch hat ihn behutsam und geschickt verändert. Aber verändert. Für die
Maschine.«
    »Sind Sie sich
sicher?«
    Ein Blick ging
zwischen den Schwestern hin und her. »Ja!«

8
    Gerhard folgte
Baier, der die beiden Damen in sein Auto geladen hatte. Er war froh, nicht
reden zu müssen. Das Bild des Toten ließ sich nicht abschalten, so wie er
keinen einzigen Toten je vergessen hatte. Wie eine Fotogalerie hingen ihre
Bilder in seiner Erinnerung. Schwarzweiß-Portraits mit übergroßen Augen auf
einer schwarzen Wand, die ins Unendliche führte. Mit jedem Toten hatte sich
sein Blick auf die Welt verändert. Berufskrankheit, in jedem nur das Schlechte
sehen zu können? Wie oft hatten ihm seine wechselnden Freundinnen vorgeworfen,
er könne nicht mehr unterscheiden zwischen Dienst und Realität. Ihre Realität
war himmelblau und rosarot gewesen. Wie hätte er erklären können, dass er immer
dann in Dienst trat, wenn diese vermeintlich bunte und gute Welt ganz real um
sich schoss, erpresste, tötete, mordete, vergewaltigte? Nur eine Berufskollegin
war in der Lage, das zu verstehen. Deshalb hatten so viele Polizisten auch
Partnerinnen aus demselben Beruf. So wie Ärzte immer Krankenschwestern
heirateten und Lehrer sich zusammenrotteten, weil zwei Besserwisser anscheinend
symbiotisch leben konnten? Womöglich wäre die ebenso hübsche wie kluge Evi eben
doch eine perfekte Partnerin für ihn gewesen. Wenn er nur nicht immer Jo im
Kopf gehabt hätte – hatte! Auch sie verstand seine Mundfaulheit nicht, die
Selbstschutz war. Sie konnte nicht verstehen, dass es so still um ihn war. Rede
mit mir! In gebetsmühlenartiger Wiederholung hatten die Frauen genau das
gefordert, was er zumeist auch gar nicht durfte. Schweigepflicht! Ebenso war es
die Vorhersehbarkeit des Scheiterns von Beziehungen, die Gerhard immer mehr den
Mut nahm, es wieder und wieder zu versuchen. Er hatte es bei Baier gesehen, die
Polizisten-Ehe-Krankheit: Auch Frau Baier hasste es, dass ihr Mann nicht mehr
ans Gute glauben wollte. Gott erhalte deinen Glauben? Gott! Was hieß das schon,
dass dieser Hareither tief religiös sei? Waren nicht gerade im Namen der Kirche
und des Glaubens überall auf der Welt die grausamsten Morde und Hinrichtungen
begangen worden? Inquisition, Kreuzzüge, Fanatismus, Terrorismus. Religion war
ein wunderbarer Deckmantel. So wie der Mann ausgesehen hatte, war er nicht nur
dem Teufel begegnet. Es mussten alle Dämonen dieser, seiner Welt gewesen sein,
die er im Antlitz des Todes gesehen hatte. Dämonen – auch seine ließen sich
nicht vertreiben. Er

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