Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Titel: Weinzirl 04 - Gottesfurcht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
Vom Netzwerk:
der Ödnis im Kühlschrank Paroli zu
bieten, und fuhr nach Weilheim, erledigte Einkäufe und schlenderte über den
Marienplatz. Malerisch, diese gute Stube der kleinen Stadt. Ein Bearded Collie
döste vor einem Laden, drei kleine Mädchen schleckten Eis, der Kälte trotzend.
Einer winkte ihm zu. Greinau, der wieder mal seiner Kameratasche folgte. Auf
dem Weg zum Auto traf er noch die Breitling, die etwas von einem Anwaltstermin
faselte, hektisch auf die Uhr sah und entschwand. Es war nett hier,
vorhersehbar und beruhigend. Ein ruhiger Ausklang des Jahres, das war es, was
Gerhard sich wünschte.
    Er hätte natürlich
ins Allgäu fahren können. Er war auf drei Silvester-Festen eingeladen, die alle
vor Kreativität strotzten. Einmal Fondue in Kempten: »dieses Jahr lassen wir es
mal ganz ruhig angehen«. Einmal Raclette in Sonthofen: »dieses Jahr lassen wir
es mal ganz ruhig angehen« und einmal mit vier Kumpels auf einer Berghütte im
Walsertal: »dieses Jahr …« und so weiter. Er hatte mit der Berghütte
geliebäugelt, weil man die nur auf Schneeschuhen oder Tourenski erreichen
konnte. So ein markiger Männerabend mit viel AKW ,
mit stinkenden Socken und verschweißelten Hemden am Hüttenkamin – ohne dass
eine Frau sich aufgeregt hätte – erschien ihm reizvoll. Aber das ganze
Unternehmen war ihm zu aufwendig, er hatte sich um zwei Leichen zu kümmern.
Kurzzeitig hatte er mit dem Gedanken gespielt, die Mittelalterfee zu fragen,
was sie vorhatte. Was für ein Gedanke! Die Fee war höchstens fünfundzwanzig und
hatte sicher Besseres zu tun, als mit einem alten wortkargen Sack wie ihm
Silvester zu feiern. Blieb Toni! Nach Gerhards frustrierender Weihnachtsklausur
und dem Kontrastprogramm mit Zlausi war es allemal besser, bei Tonis
Wanderzirkus zu sitzen und sich unter den Fittichen des Medizinmanns ins neue
Jahr zu trinken. Gegen zwanzig Uhr dreißig trudelte Gerhard ein, gegen
einundzwanzig Uhr dreißig sah er bereits auf die Uhr. Nicht auf seine, sondern
die von Mister Breitling, weil der nämlich ständig seinen Ärmel hochrollte und
mit der Breitling fuchtelte. Es war einundzwanzig Uhr dreißig, noch zweieinhalb
Stunden bis Neujahr. Diese ganze Warterei, um dann um vierundzwanzig Uhr Leute
zu küssen, die man kaum kannte, und Sekt zu trinken, was außer Sodbrennen
nichts in ihm auslöste.
    Die Red Sina Band
machte gerade eine Pause, Gerhard stand an der Theke, als ihm jemand auf die
Schulter tippte. Er wandte sich um. Jo!
    Er war anscheinend
sowohl blöd gesoffen als auch naturblöd, denn außer einem »Jooo?« blieb ihm
jeder halbwegs intelligente Satz im Hals stecken.
    »Ja, so heiß ich.«
Sie küsste ihn auf die Backe und wirbelte herum. »Ganz schön was los hier!
Sogar mit Band.«
    »Äh ja, die Red Sina
Band. Die spuin gleich nachher wieder.«
    »Du hast ›spuin‹
gesagt. Geht das so schnell mit dem Bayerntum?« Ihre Stimme war neutral.
Trotzdem empfand Gerhard den Stich. Er schluckte aber jede Erwiderung hinunter.
    »Dia spielat glei.
Besser?« Auch er bemühte sich um eine neutrale Stimme, und Jo schwieg. Beide
sahen irgendwo hin. Die Stille zwischen ihnen war nur wenige Sekunden kurz und
doch schon ein Abgrund. Gerhard warf gerade noch rechtzeitig eine Seilbrücke
über den Graben. »Was magst du trinken?«, fragte er, und bevor er noch eine
Antwort bekam, tauchte Toni mit einer Medizin auf.
    »Willkommen – und
nun, Gerhard, sag mir bitte, wer diese schöne Frau ist.«
    »Ja, genau, wieso
wurde uns so viel Glanz in unserer Hütte bisher vorenthalten?«, kam es von der
Breitling.
    Jo antwortete
selbst, mit einer kleinen koketten Drehung wandte sie sich den Männern zu: »Jo,
aus dem Allgäu. Ich bin, hmm, wie soll ich sagen, eine uralte Freundin von
Gerhard.«
    »Aber doch nicht
uralt?« Toni prostete ihr zu. Jo kippte ihren Ouzo weg wie nichts. Seit wann
trank Jo Ouzo? Jo, die doch immer propagierte, dass sie nur österreichische
Edelbrände und Grappa trank. Und wieso spürte er diesen kleinen Strick so
messerscharf? Die uralte Freundin, die sie doch war. Da Toni Jo zu einer
zweiten Medizin entführte, hatte Gerhard Zeit, sie verstohlen zu mustern.
Natürlich war sie eine schöne Frau. Im Sommer war sie eher sehr schlank gewesen,
heute wirkte sie üppiger. Ein Vollweib, und das stellte er fast überrascht
fest. Die rötlichen Haare lagen in weichen Locken um ihr Gesicht, seit wann
hatte Jo Locken? Sie trug eine braune Hose und extrem hohe Absätze, seit wann
konnte Jo auf solchen Mörderteilen

Weitere Kostenlose Bücher