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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Euro. Ich habe nicht mal fünfhundert Euro auf meinem Konto. Woher zum Teufel soll ich eine solche Summe nehmen?«
    Der Beamte schweigt, Stolzenburg hört ihn atmen.
    »Ich kann nicht zahlen. Begreifen Sie doch.«
    »Dann fallen Versäumnisgebühren an. Das erfolgt automatisch, darauf habe ich keinen Einfluss.«
    »Versäumnisgebühren? Was heißt das?«
    Stolzenburg ist laut geworden, er brüllt in den Hörer und ist im gleichen Augenblick peinlich berührt. Rasch wiederholt er die letzte Frage in einem höflichen Ton. Der Beamte kann ja nichts dafür, er tut seine Pflicht, sagt er sich.
    »Pro Monat wären das zwölf Prozent.«
    »Das heißt, in einem Jahr wollen Sie die doppelte Summe von mir. Das ist unverschämt, das ist Wucher.«
    Der Beamte zögert, dann gibt er in einem vertraulichen Ton einen Ratschlag: »Der Prozentsatz ist tatsächlich hoch. Ich rate Ihnen, sprechen Sie mit Ihrer Bank, da werden Sie gewiss einen günstigeren Kredit bekommen.«
    Da Stolzenburg nicht antwortet, fährt er fort: »Und zahlen Sie pünktlich. Der Computer berechnet die Versäumnisgebühren umgehend, sie fallen bereits am allerersten Folgetag an.«
    »Vielen Dank, vielen, vielen Dank«, sagt Stolzenburg sarkastisch und legt auf.
    Er braucht eine Stunde, um sich von diesem Telefonat zu erholen. Dann ruft er Marion daheim an, schildert ihr seine Lage und fragt sie nach jenem Steuerberater, der ein Cousin von ihr ist und ein fabelhaftes Schlitzohr sei und schon einige seiner Klienten erfolgreich gegenüber dem Finanzamt vertreten habe. Marion verspricht ihm, den Cousin anzurufen und einen Termin für ihn auszumachen.
    »Ich kann ihn nicht bezahlen, Marion, ich bin blank.«
    »Ich weiß, Rüdiger. Die ersten drei Termine bei Klemens sind immer kostenfrei. Das gehört zu seinem Service, wie er sagt. In Wahrheit bindet er damit seine Klienten, er nötigt sie, dankbar zu sein und bei ihm zu bleiben.«
    »Da hat er bei mir kein Glück. Auch wenn ich nichts von Steuer verstehe und mich jeder Brief von denen in den Wahnsinn treibt, ich muss die Abrechnungen auch weiterhin allein machen. Einen Spezialisten wie deinen Klemens kann ich mir nicht leisten.«
    »Klemens sagt, er kostet seine Klienten keinen Pfennig, er bringt ihnen vielmehr Geld.«
    »Dann ist er der Mann für mich. Aber ich fürchte, er braucht dafür Klienten mit Geld. Geld retten, das geht vermutlich nur bei Leuten, die Geld haben. Je mehr einer hat, desto mehr kann man retten.«
    »Da hast du recht. Aber er wird dir sicher helfen können.«
    »Ich hoffe es. Ich hoffe es inbrünstig, Marion. Mir ist ganz schlecht, seit ich den Brief geöffnet habe. Ich könnte kotzen.«
    »Ich spreche mit ihm und gebe dir Bescheid. Spätestens morgen.«
    »O Gott, der Fiskus will einem nackten Mann in die Tasche greifen.«
    »Ich stelle es mir gerade vor, Rüdiger.«
    Sie kichert, dann verabschiedet sie sich und legt auf.
    Am Nachmittag muss er ins Institut, aber es gelingtihm nicht, das Seminar vorzubereiten. Er ist mit den Gedanken bei dem Geld, das er in vierzehn Tagen zu überweisen hat. Anstatt den Landauer für die Seminarsitzung nochmals durchzugehen und in seinen Aktenordnern mit Kopien geeignete Stellen herauszusuchen, ruft er drei Redaktionen an und zwei Verlagslektoren und sagt ihnen unumwunden, er stecke in einer verteufelten Lage und benötige dringend Geld. Er brauche Aufträge, er nehme alles an, hemmungslos sei er und zu allem bereit. Auf Verlangen könne er auch einen achten und neunten Gottesbeweis erbringen oder einen esoterischen Ratgeber für scheinschwangere Frauen Mitte dreißig verfassen. Er lacht und scherzt am Telefon, ist charmant und geistreich, aber alles, was er erreicht, ist die unverzügliche Überweisung eines seit sechs Wochen ausstehenden Honorars in Höhe von zweihundertdreiunddreißig Euro.
    In seinen beiden Seminarstunden ertappt er sich immer wieder dabei, wie er Sebastian Hollert anstarrt. Diesen Kerl würde eine solche Zahlung an das Finanzamt nicht durcheinanderbringen und schon gar nicht ruinieren. Vermutlich würde er die Forderung kaum prüfen und sofort das Geld überweisen, oder er würde den Brief seinem Papa und dessen Anwälten übergeben, und die würden wahrscheinlich mit dem Finanzamt einen Deal aushandeln. Er beschimpft sich im Geheimen, auf dieses dumme und hässliche Söhnchen eifersüchtig zu sein, diesen fetten Einfaltspinsel, der nichts von seinen Ausführungen begreift und der sich so offensichtlich im Seminar langweilt, dass er ihn

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