Weiskerns Nachlass
und eingeschüchtert.
»Also, wir warten«, wendet sich die Rothaarige wieder Stolzenburg zu.
»Na schön, dann werde ich in Zukunft nie wieder mit meinem Rad auf dem Radweg fahren, um euch nicht zu stören. Jetzt zufrieden?«
Ein Mädchen fängt an zu kichern, die Rothaarige ist einen Moment irritiert, dann grinst sie und sagt, ohne den Kopf zu wenden, zu ihren Freundinnen: »Oh, der Opa will komisch sein. War das komisch, Sue?«
Da keins der Mädchen etwas sagt, funkelt sie Stolzenburg grimmig an und fährt fort: »Nein, das war nicht komisch. Das findet keine von uns komisch.«
Stolzenburg spürt, dass die Aggression des Mädchens zunimmt. Er hat mit seiner Bemerkung ein Mädchen zum Lachen gebracht, und die Rothaarige fürchtet um ihre Autorität. Er will ihre Verunsicherung nutzen, die unsägliche Situation auflösen und beenden und dem dummen Kind eine goldene Brücke bauen, damit sie und ihre Bande sich zurückziehen können. Schließlich hat er einen Abschluss bei den Erziehungswissenschaftlern gemacht, und man hatte ihm in der allgemeinen Didaktik und der pädagogischen Psychologie die kleinen Tricks beigebracht, um in dem Käfig, der sich Schulzimmer nennt, nicht von Halbwüchsigen aufgefressen zu werden.
»Schön, ihr hattet euren Spaß mit mir«, sagt er freundlich, »und nun sollten wir unsere Plauderei beenden. Enough is enough und goodbye. Ich denke, ihr habt noch anderes zu tun, als euch mit einem älteren Herrn abzugeben. Also, lasst mich vorbei. Geht bitteeinen Schritt beiseite, dass ich mit dem Fahrrad weiterkomme.«
Tatsächlich treten zwei Mädchen einen Schritt zurück, so dass der Weg aus der Umzingelung mit dem Fahrrad frei ist, aber die Rothaarige geht einen Schritt nach vorn und bellt ihn an: »Schnauze, Alter. Du hast dich noch immer nicht bei meiner Freundin entschuldigt.«
»Doch, das habe ich. Ich habe mich sogar zweimal entschuldigt«, erwidert er und zwingt sich zu lächeln.
»Reicht nicht. Reicht überhaupt nicht.«
»So? Was meinst du denn, was ich machen soll?«
»Knie nieder, du Arsch. Knie nieder, und bitte um Entschuldigung.«
Stolzenburg lacht auf, packt das Rad mit beiden Händen und geht los, wobei er darauf achtet, keins der Mädchen zu berühren. Die Rothaarige öffnet ihren Rucksack, sie hat plötzlich eine Kette in der Hand, eine massive, enggliedrige Kette mit einem Holzstück als Handgriff. Stolzenburg versucht, sie im Auge zu behalten, während er das Fahrrad aus dem Kreis schiebt. Er bemerkt eine rasche Bewegung, dann trifft ihn die Kette am Hinterkopf, und im gleichen Moment spürt er das Eisen auf der Stirn. Blut fließt über seine Augen, er kann und will es nicht abwischen, will nur losstürmen. Dann kreischt eine Stimme: »Hör auf!«, und ein zweiter Schlag trifft ihn quer über den Schädel, er verliert den Halt und stürzt über das fallende Rad. Er bleibt liegen und wartet. Wartet, was passiert, unfähig, sich zu wehren, aufzustehen, zu flüchten. Er will das Blut an den Augen wegwischen, aber die Arme sind unter dem Rad eingeklemmt, und er liegt mit dem Körper auf dem Lenkrad und dem Vorderrad, eine Flügelschraube drückt schmerzhaft gegen die Rippen. Jemand fragt ihn etwas, was er nicht versteht. Es ist eine andere Stimme, es ist nicht die böse, aggressive Stimme der Rothaarigen, sie ist freundlicher, mitfühlend. Er antwortet etwas. Dann fragt die Stimme: »Sind Sie gestürzt?«
Eine Hand hebt seinen Kopf.
»Mein Gott, Sie bluten ja. Können Sie sich bewegen? Soll ich einen Arzt rufen?«
Stolzenburg bemüht sich vergeblich, die Arme unter dem Rad hervorzuziehen, das eigene Körpergewicht fesselt ihn. Dann heben zwei Männer ihn und das Rad hoch, er kann sich das Blut aus den Augen wischen, vier ältere Leute stehen neben ihm, zwei Frauen, zwei Männer. Er nickt ihnen zu.
»Was ist passiert? Was hat Sie denn vom Rad geholt?«, fragt einer der Männer.
Stolzenburg blickt sich um, von den Mädchen ist nichts zu sehen, er muss so lange unter dem Rad gelegen haben, dass sie Zeit hatten zu verschwinden.
»Sie sollten nicht ohne einen Helm mit dem Fahrrad fahren«, sagt einer der Männer, »Sie sehen ja, was Sie von Ihrem Leichtsinn haben.«
Stolzenburg schüttelt den Kopf: »Ich wurde zusammengeschlagen. Von Jugendlichen. Von einer Bande.«
Er hat Mühe zu sprechen, er muss sich bei dem Sturz auf die Zunge gebissen haben.
»O Gott«, schreit eine der Frauen auf, »waren das etwa die, die uns gerade entgegenkommen sind?«
»Nein, Luise«,
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