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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Küche.
    »Gehen wir ins Kino?«, fragt Patrizia gleich beim Betreten der Wohnung. Sie kommt in die Küche und schreit entsetzt auf, als sie ihn sieht. Sie fragt, was passiert sei, bringt ihn dazu, sich hinzusetzen, sie sei schließlich gelernte Krankenschwester und müsse die Wunde untersuchen. Mehrmals sagt sie ihm, er müsse ins Krankenhaus, sie werde ihn fahren, aber er weigert sich. Sie streicht die Haare beiseite, um sich die Verletzung am Hinterkopf anzusehen.
    »Es muss nicht geklammert werden«, verkündet sie anschließend, »es ist ein winziger Riss, Kopfwunden bluten immer stark. Aber ich muss die Wunde reinigen und versorgen, und dazu müssen wir ein paar Haare abschneiden. Wächst ja nach.«
    Er muss mit ihr ins Bad gehen und sich auf den Hocker setzen. Als er zusammenzuckt und unwillkürlich den Kopf bewegt, ermahnt sie ihn, stillzuhalten.
    »Ein Pflasterspray wäre jetzt gut«, sagt sie, während sie ihm zum Schluss etwas Mull auf den Hinterkopf klebt, »das löst sich von allein und ziept nicht an den Haaren.   – So, jetzt siehst du wieder aus wie ein Mensch. Und nun leg dich hin. Vielleicht hast du eine kleine Gehirnerschütterung, da sollten wir vorsichtig sein. Ich an deiner Stelle wäre auf jeden Fall ins Krankenhaus gefahren.«
    »Wegen einer Lappalie fahre ich nicht ins Krankenhaus.«
    »Und was machst du wegen dieser Rabauken? Was ist, wirst du Anzeige erstatten?«
    »Wozu?«
    »Aber die Kerle sind gemeingefährlich.«
    »Welche Kerle?«
    »Na, die, die dich überfallen haben.«
    Er schaut sie überrascht an. Er versucht, sich zu erinnern, was er ihr erzählt hat. Er hat nichts von Männern gesagt, aber es vermieden, ihr zu erzählen, dass es kleine Mädchen waren, Schulmädchen, und sie hatte offenbar aus seinen Worten und seinen Verletzungen gefolgert, eine Gruppe junger Männer habe ihm aufgelauert.
    »Jaja«, sagt er nur.
    Es ist vielleicht besser, es dabei zu belassen. Es ist weniger peinlich. Es lässt sich besser erzählen, denkt er. Die Leute, die ihm geholfen, waren auch davon ausgegangen, junge Männer hätten ihn überfallen, dass es Mädchen gewesen waren, war ihnen nicht in den Sinn gekommen.
    »Ich kenne sie nicht«, sagt er, »ich könnte sie nicht einmal beschreiben. Was soll ich denn der Polizei sagen?«
    »Aber wenn die weitermachen, wenn die morgen den Nächsten zusammenschlagen, dann hast du hoffentlich ein schlechtes Gewissen. Ab ins Bett. Ich kümmere mich um dich. Hast du Appetit, möchtest du etwas essen?«
    »Später. Ich glaube, zuerst sollte ich einen Schnaps trinken. Schau doch mal in der Küche, was ich noch habe. Ein Grappa müsste im Kühlschrank stehen. Gieß mir bitte ein Glas ein. Und nicht zu knapp. Grappa ist gut bei Blutverlust. Und dann sollten wir beide ins Bett gehen.«
    Er lächelt sie an, er ist froh, dass sie bei ihm ist. Er weiß nicht, was er bei der Schlägertruppe von Schulmädchen falsch gemacht hat, wie er sich hätte verhalten sollen, wie er künftig reagieren muss, wie er einem solchen Kindergarten gegenübertreten soll. Er fürchtet sich vor der Angst, fürchtet, völlig unangemessen zu reagieren, wenn ihm eine Horde von Jugendlichen, Kindern, Mädchen entgegenkommt. Er fürchtet ihre Gewalttätigkeit, aber auch das Lächerliche einer solchen Situation. Er kann und will sich nicht wegducken, nicht vor ihnen verstecken, gleichzeitig weiß er, er kann gegen eine solche Horde nichts ausrichten, sich gegen eine Überzahl, auch wenn es nur Kinder sind, nicht wehren. Weichen Sie aus, wechseln Sie rechtzeitig die Straßenseite, vermeiden Sie den geringsten Anschein einer drohenden Haltung, aber auch jeglichen Eindruck von Argwohn, Misstrauen und Ängstlichkeit, denn dieses könnte ebenfalls provozierend wirken, so oder so ähnlich hatte sich vor einigen Tagen der Polizeipräsident in einem Zeitungsinterview geäußert. Der oberste Polizist war befragt worden, wiesich Bürger ungefährdet durch ihre Stadt bewegen können, und seinen Aufruf zu einem Ausweichen und vorschneller Flucht hatte er damals empört zur Kenntnis genommen. Er hatte es vor einer knappen Woche gelesen, und nun sagt er sich, es wäre besser gewesen, wenn er sich nicht über die jämmerlichen Ratschläge aufgeregt, sondern sie beherzigt hätte.
    »Wer war hier? Wer hat dich besucht?«, fragt Patrizia, die mit einem Glas Tee zu ihm ins Zimmer kommt. Ihre Frage hat einen seltsamen Unterton, so dass er sie überrascht anschaut.
    »Niemand«, sagt er, »hier war niemand.«
    »Eine

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