Weiß (German Edition)
wirkten noch tiefer als sonst und der Ausdruck in seinen glasigen Augen erinnerte Lewin an kleine Schweine, die begriffen, dass ihre letzte Reise auf einen Schlachthof geführt hatte. Das Schlimmste aber war die weiße Flüssigkeit, die seinen Augen geflossen und mittlerweile größtenteils eingetrocknet war. Unter seinen Nasenlöchern konnte Lewin ebenfalls Reste dieses Zeugs erkennen.
Entsetzt stolperte er ein paar Schritte zurück. Sie war hier! Die Krankheit war hier! In seinem eigenen Haus und er hatte einen Infizierten direkt angefasst!
Lewin stürzte ins Badezimmer und übergab sich in die Kloschüssel. Die Welt vor seinen Augen begann sich zu drehen und er konnte nicht aufhören zu würgen. Verdammte Scheiße, er musste jetzt endlich etwas unternehmen, wollte er nicht Gefahr laufen, so zu enden wie die anderen.
Lewin unterdrückte das nächste Würgen , wartete einen Augenblick und trat dann zitternd ans Waschbecken. Sein Kopf dröhnte und er zog eine weitere Tablette aus seiner Hosentasche.
Er musste sich verstecken.
Während er die Tablette hastig hinunterspülte, überlegte er fieberhaft, wo er sich in dieser Stadt verstecken konnte, um sich der Gefahr dieses Virus' nicht länger aussetzen zu müssen. In Gedanken ging er alle möglichen Orte durch, verwarf aber jeden von ihnen sofort wieder, bis ihm schließlich die Idee kam, dass der Wald womöglich der einzig sichere Ort in dieser Stadt war.
Dorthin verirrte sich selten jemand aus Weiß und er konnte es dort locker eine ganze Weile aushalten. Dort kannte er sich aus, konnte sich verstecken und abwarten, wie die Dinge sich entwickelten. Er dachte an die Verabredung mit Lydia am Abend und zögerte. Sollte er zu dem Mädchen gehen und sie warnen?
Wenn er sie wirklich mochte, wäre das eine ganz natürliche Reaktion, aber etwas ihn ihm sträubte sich gegen diese Vorstellung. Wenn man es genau nahm, hatten all die merkwürdigen Ereignisse erst angefangen, nachdem er diesem Mädchen begegnet war. Das sol lte nicht heißen, dass er sie beschuldigte, aber Lewin hatte keine Ahnung, woher die schöne Unbekannte so plötzlich gekommen war. Sie hatte einen ihm unbekannten Akzent, nach dem er sie nicht gefragt hatte, und vielleicht hatte sie, aus welchem Land auch immer, unwissentlich diese Seuche eingeführt. Die Chance, dass das Mädchen die Krankheit bereits hatte, dass sie womöglich der ultimative Wirt war, war zu groß.
Die andere Möglichkeit wäre, dass er selbst bereits infiziert war, Lydia hingegen vollkommen gesund. Dann würde er sie nur einer unnötigen Gefahr aussetzen, wenn er jetzt zu ihr ginge, um sie zu warnen. Er hielt es für das Beste, fürs Erste allein in den Wald zu gehen und abzuwarten. Wenn sich bei ihm keine, wie auch immer gearteten, Symptome zeigten, dann könnte er immer noch überlegen, was weiter zu tun sei. Und wenn es ihm später schlechter gehen würde, dann hatte er ohnehin die richtige Entscheidung getroffen.
Lewin ging hinunter in die Küche, packte ein paar Vorräte in einen Rucksack und suchte sich eine Decke aus dem Wohnzimmer. Waren die Tage in Weiß unerträglich heiß, verhielt es sich hier nachts wie in der Wüste und die Temperaturen fielen empfindlich. Er hatte keine Ahnung, wie lange er im Wald bleiben musste und hielt es für eine gute Idee, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.
Als er die Wohnungstür hinter sich ins Schloss zog, atmete Lewin erleichtert auf. Er schaute sich verstohlen nach allen Seiten hin um und verschwand dann nach hinten in den Garten. Dort kletterte er über den Zaun und lief gebückt über die Straße. Vermutlich war es momentan das Beste, seine altbekannten Schleichwege zu benutzen und sich von anderen Menschen fernzuhalten.
Drei
Nachdem Lewin sich eine Weile hüpfend und geduckt rennend vorwärts bewegt hatte, musste er eine kleine Verschnaufpause einlegen. Sein Rücken tat ihm weh, der Schweiß lief ihm sturzbachartig über den Körper und in seiner Luftröhre schienen kleine Sandkörner seine Atmung zu blockieren. Außerdem kam er sich unglaublich albern vor, wie er sich hinter parkenden Autos und Büschen versteckte, als wäre er ein Möchtegern-James-Bond. Trotzdem überzeugte er sich, dass er es ertragen konnte, lächerlich zu wirken, wenn er dadurch sein Leben retten konnte. Schließlich war es ihm unmöglich zu erkennen, wer oder was bereits infiziert war, und er hatte keine große Lust es bei einem direkten Zusammentreffen herauszufinden. Nichtsdestotrotz musste
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