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Weiß (German Edition)

Weiß (German Edition)

Titel: Weiß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harper Ames
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schnell gerannt, dass er kaum etwas von seiner Umgebung wahrgenommen hatte. Vielleicht waren diese Aggressionen der wütenden Meute vorhin ebenfalls ein Symptom der Krankheit.
    Lewin erinnerte sich an einen Film, in dem die Menschen, ohne ersichtlichen Grund, aufeinander losgegangen waren. Vielleicht passierte das auch hier, nur dass der Auslöser in diesem Fall eine Infektion war. Vollkommen abwegig schien dieser Gedanke nicht zu sein, denn immerhin hatte ihn selbst heute ebenfalls bereits mehrfach eine vollkommen unkontrollierbare Wut überrollt.
    Lewins Kopf schmerzte. Je länger er über all dies nachdachte, desto mehr fragte er sich, weshalb um alles in der Welt er immer noch so ruhig war. Normalerweise hätte er angesichts der Ereignisse des heutigen Tages schon längst ausrasten müssen. Stattdessen saß er hier rum, stopfte Essen in sich rein und rauchte. Er fühlte sich nicht schlecht und auch nicht krank. Er war lediglich ein wenig beunruhigt, aber im Großen und Ganzen blieb er immer noch ruhig und einigermaßen entspannt.
    Er saß nun mit ausgestreckten Beinen auf dem Wohnzimmerbod en und überlegte, was er unternehmen könnte, um Licht in das Dunkel zu bringen - als ihm der alte Mann im ersten Stock einfiel.
    Der Greis saß schon seit dem Vormittag dort oben in seinem Zimmer und kochte mittlerweile wahrscheinlich in seinem eigenen Sud. Nach seinem schnellen Abgang hatte Lewin keinen weiteren Gedanken daran verschwendet, dass der Alte aller Voraussicht nach riesigen Hunger haben musste. Und auch wenn er ihn verabscheute, wollte er dennoch nicht daran schuld sein, wenn er bei dieser Hitze einen Zusammenbruch erlitt, nur weil er ihn nicht ausreichend mit Nahrung versorgt hatte. Lewin war sich nicht sicher, aber er vermutete, dass man in diesem Falle von fahrlässiger Tötung oder etwas Ähnlichem sprechen konnte. Zwar würde sich in Weiß niemand um den Alten scheren, aber das Risiko wollte er trotzdem nicht eingehen.
    Ächzend erhob sich Lewin vom Fußboden und marschierte langsam in Richtung Treppe. Als er einen Blick aus dem Fenster warf, registrierte er eine Gestalt, die vor dem Gartentürchen auf der Straße stand und mit unbeweglichem Gesicht zu ihm herüberstarrte. Lewins Hand klammerte sich am Treppengeländer fest und er spürte, wie sein Atem immer schneller und flacher wurde.

Landschaftsbetrachtungen
    Ich denke, es ist nun an der Zeit, Dir kurz etwas zu den geografischen Besonderheiten von Weiß zu erzählen. Hierbei hast Du natürlich keine Angabe von Längen- und Breitengraden zu erwarten, die es Dir ermöglichen würde, die Lage meiner Stadt auf einer Weltkarte ausfindig zu machen. Du wirst diese Stadt nicht finden – niemals! Nein, vielmehr geht es mir darum, Dir hier zu zeigen, dass Weiß landschaftlich gesehen wirklich viel zu bieten hatte. Ich erwähnte bereits den Wald und ganz kurz wurde auch schon vom Sumpf und dem Fluss gesprochen. Und ob Du das jetzt glaubst oder nicht, Weiß hatte außerdem noch ein Gebirge zu bieten.
    Stell Dir eine kleine Stadt vor, die von Sumpf, Wald, Fluss und Gebirge praktisch eingerahmt ist und Du hast ein ziemlich genaues Bild von Weiß. Ich habe mich immer gefragt, wie es überhaupt möglich ist, dass derart verschiedene Landschaftstypen auf so kleinem Raum nebeneinander existieren können. Manchmal wirkte es auf mich, als hätte irgendjemand sich nicht entscheiden können, welche Landschaftsform er Weiß zuteilen sollte, sodass dieser jemand anschließend ein spannendes Arrangement aus den verschiedensten Typen auf die Beine gestellt hat.
    Heutzutage ist es natürlich egal, wie die Landschaft mal ausgesehen hat, denn mittlerweile gibt es hier nichts mehr, das irgendjemanden interessieren könnte.

Zwei
    Lewin schloss die Augen. Um ihn herum begann sich alles zu drehen und in seinem Inneren stieg rauchige Übelkeit nach oben. Das Nikotin wirkte noch immer, aber was sich vor wenigen Minuten noch angenehm und entspannend angefühlt hatte, ließ ihn nun plötzlich torkeln. Er schluckte, zählte langsam bis zehn und öffnete dann wieder die Augen. Der Platz vor dem Gartentürchen war leer, auf der Straße war keine Menschenseele zu sehen.
    Eine Halluzination!
    Lewin stürzte ans Fenster und riss nur einen Moment später die Tür auf. Mit drei schnellen Schritten war er an der Gartentür und stierte die Straße hinauf. Nirgendwo war eine Spur von dem Mädchen zu entdecken, das er noch vor wenigen Sekunden vor der Tür gesehen hatte. Lewin schüttelte den Kopf

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