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Weiß (German Edition)

Weiß (German Edition)

Titel: Weiß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harper Ames
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blieb stehen und sah sich um. Er erwartete eine weitere Katze, die sich im Todeskampf über den Boden rollte, konnte aber nichts erkennen. Die Quelle des Geräuschs war nicht ausfindig zu machen, schien aber hinter einem der Häuser zu seiner rechten zu liegen. Lewin überlegte einen Augenblick. Er hatte keine Angst. Wovor sollte jemand mit seinen Kräften sich auch schon fürchten. Es war etwas anderes, das ihn zurückhielt. Etwas Subtileres. Argwohn. Diese Stadt war nicht gut zu Lewin gewesen und nun hatte er die Möglichkeit sich an ihr zu rächen. Wer sagte ihm denn, dass dieses Schluchzen nicht vielleicht eine Falle war? Aber war eine Stadt zu so etwas überhaupt fähig?
    Als das Schluchzen nicht aufhörte, sondern im Gegenteil noch stärker und herzzerreißender wurde, gab Lewin sich einen Ruck und ging langsam auf das Geräusch zu. Er glaubte zwar nicht daran, aber vielleicht gab es ja doch noch jemanden, der es wert war, dass ihm geholfen wurde. Je näher Lewin den umliegenden Häusern kam, desto genauer konnte er das Geräusch lokalisieren. Tatsächlich schien es, als würde es hinter einem kleinen, gelben Haus hervorkommen. Es überraschte Lewin kaum, dass gerade dieses Haus das schäbigste in der gesamten näheren Umgebung war.
    Er trat zwischen zwei riesigen Hecken hindurch und in einen ungepflegten Garten hinein. Überall lagen Flaschen, Müll, Spielsachen und andere Dinge herum, die keineswegs in einen Garten gehörten. Lewin entdeckte einen alten Fernseher, besudelte Wäsche, einen kaputten Wasserball und verwesende Nahrungsmittel. Angewidert verzog er das Gesicht, setzte seinen Weg aber tapfer fort. Das Weinen wurde lauter und Lewin war sich jetzt ganz sicher, dass dort hinter dem Haus ein kleines Kind sitzen musste, das sich beim Spielen in diesem riesigen Abfalleimer verletzt hatte. Vermutlich waren Vater und Mutter nicht zuhause oder lagen betrunken vor dem Fernseher und kümmerten sich nicht um die Belange des Kleinen. Es war Lewin egal, ob er das Recht hatte, diesen Garten zu betreten. Irgendjemand musste hier schließlich helfen.
    Als er sich den Weg durch das Sperrgut gekämpft und langsam die Häuserecke erreicht hatte, hinter der sich das weinende Kind befinden musste, änderte sich die Qualität des Weinens plötzlich. Immer wieder mischte sich nun Kichern zwischen das Schluchzen und Lewin blieb verwundert stehen. Vielleicht war das Ganze ja doch eine Falle. Ein hinterhältiger Versuch ihn allein zu erwischen, um ihn aufzuhalten. Wahrscheinlich lauerten Simon und die Anderen hinter dem Haus, verstellten ihre Stimmen und lachten sich halb tot, weil niemand in der gesamten Stadt außer ihm so dämlich war, auf einen derart bescheuerten Trick hereinzufallen. Dieses fremde Weinen ging ihn doch nichts an! Was hatte er in dieser verdammten Müllkippe überhaupt zu suchen?
    Lewins Haut begann zu kribbeln und er spürte, wie die Wut in ihm zu kochen begann. Diese verdammten Hundesöhne! Es wurde Zeit, sich intensiver mit ihnen auseinanderzusetzen und vielleicht war dieser stinkende Garten genau der richtige Ort dafür. Er holte ein paar Mal tief Luft, spannte seinen gesamten Körper an und trat dann entschlossen mit drei großen Schritten um die Häuserecke herum. Was er sah, ließ ihn überrascht und erleichtert zugleich ausatmen.
    Zwischen Müll und Unrat stand auf einer von Unkraut überwucherten Terrasse ein alter, schmutziger Kinderwagen. Das ausgeblichene Rosa des Stoffbezugs war hier und da mit Grünspan überzogen, sämtliche metallenen Teile des Gestänges waren verrostet. Neben dem Kinderwagen saß ein Kind auf dem Boden, mit dem Rücken zu Lewin. Die Schultern des Kindes, es war nicht zu erkennen, ob es ein Mädchen oder ein Junge war, bebten und die kleinen feinen Haare wehten in der leichten Brise des herannahenden Abends.
    „Hey du! Ist alles in Ordnung?“, fragte Lewin.
    Er konnte keine Reaktion feststellen. Die kleinen Schultern bebten noch immer, der Knirps stieß weiterhin kichernde und schluchzende Geräusche zugleich aus und Lewin beschlich das ungute Gefühl, dass hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Er hatte keine Ahnung, was hier los war, aber aus der Wärme in seinem Innern wurde langsam wieder ein unangenehmer Druck in der Magengegend.
    Langsam und vorsichtig näherte Lewin sich dem weinenden Kind. Je näher er kam, desto auffälliger wurde der erbärmliche Zustand der kleinen Gestalt. Die Kleidung war schmutzig und abgetragen. Das dünne Kopfhaar war fettig und

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