Weiß (German Edition)
und rief Lydias Namen. Unwillkürlich zuckte er zusammen. Seine Stimme schnitt mit scharfer Klinge durch die Luft und die Stille im Laden. Es klang, als würde sie aus den dunklen Ecken mehrfach zurückgeworfen und würde dabei lauter und lauter. Die kleinen Härchen an Lewins Armen begannen sich kribbelnd aufzurichten. Irgendetwas fühlte sich nicht richtig an.
Lewin wartete vergeblich auf eine Antwort. Entweder hatte Lydia ihn nicht gehört oder sie war nicht hier. Allerdings erschien ihm letzteres unrealistisch. Wo sollte sie sein, wenn sie nicht hier war? Und warum hätte sie die Ladentür unverschlossen lassen sollen? Auch wenn der Laden nicht gut besucht war, bestand doch schließlich zumindest die Möglichkeit, dass jemand hier etwas hätte klauen wollen.
Lewin näherte sich der Hintertür und versuchte dabei, so viele Geräusche wie möglich zu erzeugen. Vielleicht war Lydia eingeschlafen und er wollte sie nicht erschrecken. Je näher er der verschlossenen Tür des Hinterzimmers kam, desto schneller schlug sein Herz. Mit schwitzenden Händen umklammerte er den Türgriff, den er nur noch herunterdrücken musste, um dem Mädchen endlich erneut in ihre magnetisch wirkenden Augen blicken zu können. Er zögerte, ließ dann den Türgriff los und trat einen Schritt zurück.
Was dachte er sich bloß? Er konnte hier nicht so einfach reinplatzen und sich benehmen als gehörte ihm dieser Laden.
Lewin hob die Hand und klopfte dreimal zaghaft an die Tür. Als er keine Antwort vernahm, klopfte er noch einmal; dieses Mal jedoch lauter. Wieder bekam er keine Antwort. War es wirklich möglich, dass sie so tief schlief?
Vorsichtig öffnete Lewin die Tür einen Spalt und flüsterte leise Lydias Namen. Das Zimmer war noch immer in ein angenehmes Zwielicht getaucht. Durch die Fenster drang kaum Licht und die Kerzen brannten flackernd. Lewin fühlte, wie seine Kehle schlagartig trocken wurde und seine Glieder erschlafften.
Das Zimmer vor ihm war leer. Von der unbekannten Schönheit war keine Spur zu sehen. Die Tür zum Badezimmer stand weit offen, aber auch dort war niemand zu entdecken. Egal, wo Lydia jetzt war, hier war Lewin definitiv allein.
Mit vor Enttä uschung brennenden Augen ging Lewin ins Badezimmer und setzte sich auf die Toilette. Zum ersten Mal wunderte er sich, wie der Rollaschek es in diesem Badezimmer aushielt. Der Raum war so winzig, dass selbst Lewin sich kaum darin herumdrehen konnte, ohne zwischen Waschbecken und Badewanne eingeklemmt zu werden. Außerdem war die Decke so niedrig, dass der Rollaschek, wenn er sich unter der Dusche befand, unweigerlich den Schädel stoßen musste.
Lewin schüttelte den Kopf und besah sich dann die Wunde, die Kneif ihm zugefügt hatte. Innerlich hatte er sich auf einen grausamen und übelkeiterregenden Anblick vorbereitet, was er sah, entlockte ihm allerdings nur einen leisen Pfiff. Lewin erinnerte sich ganz deutlich, dass er ein mindestens münzgroßes Stück Fleisch zwischen Kneifs Zähnen gesehen hatte, aber die Wunde an seiner Hüfte war kaum der Rede wert; nicht viel mehr als ein größerer Kratzer und kaum schmerzhaft. Er wusch sie mit Wasser aus und beließ es dabei. Ein Pflaster lohnte sich nicht. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass die Wunde schneller heilen würde, als es normalerweise der Fall sein sollte.
Immer noch enttäuscht, aber zugleich auch erleichtert verließ Lewin das Badezimmer und ging auf den Tisch zu. Dort lagen mehrere aufgeschlagene Bücher, die ihm heute Morgen gar nicht aufgefallen waren. Der Rollaschek hatte niemals gelesen und besaß keine Bücher. Zumindest keine, die Lewin jemals zu Gesicht bekommen hätte. Also mussten diese Bücher von Lydia stammen.
Lewin trat näher und betrachtete die Bücher. Sie waren, ähnlich wie bei Galen, alt, groß und in einer ihm unbekannten Sprache verfasst. Er ärgerte sich erneut, dass er Lydia nicht nach ihrer Herkunft gefragt hatte. Die Zeichen in den Büchern waren ihm vollkommen fremd und hätten genauso gut kyrillisch wie auch arabisch sein können.
In einem der Bücher waren Bilder von Münzen, Schmuck und kleinen Figuren abgebildet, die Rollascheks Penispuppen zum Verwechseln ähnlich sahen. Lydia schien an antiker Kunst interessiert zu sein, sofern man dieses Gebiet so bezeichnete.
Lewin ließ sich auf einen der Sessel fallen und beschloss, eine Weile zu warten. Vielleicht würde sie jeden Augenblick zurückkommen - immerhin war die Ladentür unverschlossen gewesen. Um sich die Wartezeit zu
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