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Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue

Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue

Titel: Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro D'Avenia
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Henker drängst du dich zwischen mich und Beatrice? Wieso vergiftest du das Blut eines so blühenden, jungen Lebens? Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Es ist so und basta. Und wenn es so ist, nützt auch das Träumen nichts. Zumindest lässt man es besser bleiben, weil’s einem sonst noch dreckiger geht. Besser, man hat Träume wie Niko, was Sicheres, was man sich kaufen kann. Ich gehe los und kaufe mir neue Schuhe, ein Paar Dreams , dann ist der Traum wenigstens am Boden und ich kann ihn mit Füßen treten.
    Ich bleibe mit beiden Beinen auf der Erde und trete den Traum mit Füßen. Der Träumer sagt, Wünsche haben etwas mit den Sternen zu tun: desiderare heißt ersehnen in Latein, von sidera, »die Gestirne«. Bullshit! Wenn man Sterne sehen will, muss man sich nichts wünschen, man muss sich wehtun.

W o steckst du, verdammt noch mal?«
    Nikos Stimme dröhnt aus dem Handy und reißt mich aus meiner Lethargie. Ich brauche nur eine Nanosekunde, um zu kapieren, dass es fünf Uhr ist und wir in einer halben Stunde gegen die X-Men antreten müssen.
    »Ich musste mein Zimmer aufräumen, sonst hätte meine Mutter mich nicht gehen lassen …«
    Niko glaubt mir kein Wort.
    »Beweg deinen Arsch, wir müssen uns den ersten Gruppenplatz zurückholen …«
    Er legt auf.
    Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich ein Spiel vergessen.
    Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich muss krank sein. Ich messe Fieber, aber mir geht’s gut.
    Wie immer vor einem Spiel falle ich in den Schlachtruf der Piraten ein:
    »Hol’s der weiße Wal!«
    Wir putzen die X-Men mit 7 zu 2 weg, ich schieße drei Tore.
    Doch irgendetwas in mir drin hindert mich daran, mich wirklich zu freuen.
    Ich sehe den weißen Wal vor mir. Er ist riesig. Und ich habe Angst, dass er mich tatsächlich verschlingt.

D er Träumer macht wieder mal eine seiner Sonderstunden: Das sind die besten!
    Er fängt an, aus einem Buch vorzulesen, das ihn beeindruckt hat und das er gerade aus rein persönlichem Interesse liest. Dabei leuchten seine Augen wie bei einem, der seine Freude mit dem Erstbesten, der ihm über den Weg läuft, teilen muss. Wie bei mir, wenn ich ohne es zu merken laut »Beatrice« vor mich hin sage oder aller Welt erzählen möchte, dass eine Prüfung gut gelaufen ist, was allerdings ziemlich selten vorkommt …
    Diesmal hat er eine Erzählung aus Sternstunden der Menschheit vorgelesen, in der von drei Belagerungen und drei Plünderungen die Rede ist.
    »Rom, Alexandria und Byzanz. Drei Städte voller Schätze, Schönheit und Kunst. Drei Städte mit vor Büchern berstenden Bibliotheken, in denen das Geheimnis jahrhundertealter Literatur und Wissenschaft gehütet wurde. Gebäude voller Schriftrollen und Kodizes, die von den Träumen der Menschen erzählten und den Träumen mindestens ebenso vieler zukünftiger Menschen als Nahrung dienen konnten. Doch all diese Träume sind unter den vernichtenden Schlägen der Barbaren, Araber und Türken in Rauch aufgegangen. Mit einer einzigen flammenden Geste löschten sie Stockwerk um Stockwerk voller Schriftstücke aus, die das Geheimnis des Lebens enthielten. Sie verbrannten den Geist und seine Schwingen. Sie setzten seinem jahrhundertelangen Flug, in dem er sich aus den Kerkern der Geschichte befreit hatte, ein Ende. Das Papier der Bücher brannte wie in Bradburys wunderbarem Roman, den ihr übrigens lesen solltet …«
    Soweit der Träumer. Keinen Blassen, was er damit sagen will, und von diesem Bradbury habe ich auch noch nie was gehört, aber es klingt gut.
    Am Ende seines leidenschaftlichen Vortrages hat uns der Träumer gefragt: »Warum?« Niemandem ist was eingefallen. Er meinte, wir sollten darüber nachdenken und einen Aufsatz darüber schreiben. Der Träumer spinnt. Der glaubt, wir wären Philosophen. Unsere Sorgen sind sehr viel schlichter und konkreter. Zweckmäßig und direkt: Bei wem kann ich Griechisch abschreiben, wie kriege ich das schnuckelige Mädel rum, wie komme ich an Geld für eine neue Prepaidkarte, nachdem die letzte in nur zwei Tagen für SMS mit höchstens fünf bis sechs Wörtern draufgegangen ist … solche Sachen. An Aufgaben, wie der Träumer sie einem stellt, ist man nicht gewöhnt. Für manche Dinge hat man einfach keinen Kopf. Wo soll man überhaupt die Antworten herkriegen?
    Denn bei seinen Fragen hilft es nicht, bei Google Rom, Alexandria, Byzanz, Feuer, Träume, Gründe, Bücher … einzutippen. Das bringt nichts. Im Netz gibt es keinen Text, der derart zusammenhanglose Wörter

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