Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue
fortgerissen. Ich versuche sie aufzuhalten, doch das Band, was sie mit meinem Herzen vereint, zerrt immer schmerzhafter … Ich rolle mich zusammen wie Terminator, wenn er schläft. Die Berührung mit dem Bett, in dem Beatrice gelegen hat, lässt den Schmerz allmählich versiegen. Heute Nacht schlafe ich bei ihr, auch wenn sie davongeflogen ist.
W a s machst du denn hier?«
Mein Driften in einem riesigen, uferlos weißen Bett wird jäh unterbrochen. Würde mich die fette Krankenschwester nicht kennen, wäre ich jetzt arm dran.
»Ich hab Beatrice gesucht …« Meine Antwort ist so entwaffnend aufrichtig, dass die dicke Krankenschwester, die wie alle dicken Krankenschwestern ein weiches Herz und eine Schwäche für Krankenhausgeruch hat, dem nichts entgegensetzen kann.
»Sie ist gestern gegangen.«
Dann schweigt sie und macht ein ernstes Gesicht.
Ich rapple mich hoch, erfüllt von der Wehmut einer Nacht mit Beatrice in den Armen. Mit hängendem Kopf schlurfe ich aus dem Zimmer. Als ich an der Schwester vorbeikomme, zerzaust sie mir mit ihrer weichen Hand das Haar.
»Kümmere dich um sie. Tu’s auch für mich.«
Ich sehe sie an und spüre, wie die Wärme dieser Hand mir den Mut gibt, den ich nicht habe.
»Werde ich tun …«
Später kommt meine Mutter. Sie steckt alle meine Sachen in eine Tasche, hält mir den Arm hin, obwohl ich gar keine Hilfe mehr brauche, und führt mich zum Auto. Ich gebe mich leidender, als ich bin, damit sie mein Gewicht spürt und ich ihre Umarmung, die mich den Schmerz, diese unsichtbarste und bleiernste aller Lasten, vergessen lässt.
Mein Zimmer sieht aus wie immer. Keine Ahnung, was ich erwartet habe. Ich schlafe nicht mehr mit Beatrice unter einem Dach und kann sie auch nicht mehr besuchen. Meine 50er hat das Ende genommen, das ich beinahe auch genommen hätte. Ich könnte sie jetzt sowieso nicht fahren.
Es ist Weihnachten, und ich muss noch mal vierzehn Tage mit dem Arm in der Schlinge zu Hause bleiben. Nutz die Ferien aus, um das Versäumte nachzuholen und was zu lernen , hat meine Mutter gesagt. Tolle Ferien, zweimal so viel lernen wie sonst. Aber zweimal null macht null, das weiß ich immerhin. Als ich mich an die Bücher setze, scheinen die Zeiger auf dem Zifferblatt festzukleben und sich, gefangen in einer Raum-Zeit-Blase, keinen Millimeter mehr vorwärtszubewegen.
In dieser weißen Blase treibe ich davon, hoch hinauf in die Wolken, wo niemand mich hören kann, und dann ins eisige Schweigen, einsam wie ein weggeflogener Luftballon.
Als alles weiß wird, krampft sich mein Herz zusammen, es schreit, doch niemand kann es hören.
Die Einzige, die mich retten kann, ist Silvia.
S ilvia ist nicht da, sie ist für ein paar Tage zu ihrer Großmutter ans Meer gefahren. Umso besser: Dann kann ich das verdammte Lernen noch ein paar Tage aufschieben. Mir ist zwar zum Verrecken langweilig, und ich habe ein schlech tes Gewissen, weil die Zeit davonrennt, aber ich kriege es einfach nicht fertig, mich hinzusetzen und diese endlos vielen Seiten nachzuholen. Der Träumer sagt, wenn man sich langweilt, lebt man nicht genug. Was ist das denn für ein Spruch? Einer von seinen philosophischen. Das ist zu hoch für mich. Vielleicht gefällt er mir deshalb. Vielleicht, weil er die Wahrheit sagt: Ich lebe nicht genug. Aber was soll das heißen, »ich lebe nicht genug«? Ich muss ihn fragen.
Niko ruft an. Letzte Woche haben wir das Spiel gegen die Desperados gewonnen, nomen est omen. Wir sind noch drin, und in einem Monat ist das nächste Spiel. Wer weiß, ob ich mitspielen kann. Dieses Jahr konzentrieren sich all meine Träume aufs Fußballturnier. Ich will den Pokal für Beatrice in die Höhe recken, am besten vor ihren Augen!
Wenn man sich langweilt, dann, weil das Leben langweilig ist.
E ines Tages sieht man in den Spiegel und sieht anders aus als erwartet. Der Spiegel ist die grausamste Form der Wahrheit. Man sieht nicht aus, wie man wirklich ist. Man wünscht sich, dass das Äußere auch das Innere widerspiegelt und die anderen sofort erkennen, ob man ehrlich, großzügig und nett ist … stattdessen braucht es immer Worte und Taten. Man muss beweisen, wer man ist. Wie schön wäre es, wenn man es nur zeigen müsste. Das würde alles einfacher machen.
Ich mach ein bisschen Bodybuilding, leg mir ein Piercing zu, ein Löwentattoo auf den (bei mir inexistenten) Bizeps… nun ja, mal sehen. Aber bei all diesen Dingen weiß man sofort, wen man vor sich hat.
Erika-mit-K hat ein
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