Weiss
hundert entführte Kinder aus Darfur im Sudan auszufliegen und in Frankreich adoptieren zu lassen. Die Organisation behauptete, es wären Waisenkinder aus Darfur, und hatte sie mit Verbänden als Kranke getarnt. Die Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshilfswerks fanden jedoch schnell heraus, dass die Kinder gesund waren und größtenteils nicht einmal aus dem Krisengebiet Darfur stammten, sondern aus dem Tschad, wo man sie ihren Eltern mit Gewalt weggenommen hatte. In Frankreich suchte L’Arche de Zoé öffentlichkeitswirksam Ersatzfamilien für »zehntausend Waisen aus Darfur« und kassierte von jedem Kunden dreitausend Euro für ihre Dienste.
Er hatte nach dem letzten Anruf des Erpressers genau das getan, was man von ihm verlangte, also Verbindung zu Interpol aufgenommen und herausbekommen, was man dort über Marat Krylows und Dimitri Arbuzows Geschäfte in Finnland wusste. Er hatte viel in Erfahrung gebracht. Die jahrelangen Ermittlungen von Interpol zur Balkan-Route und zum internationalen Menschenhandel standen vor dem Abschluss, eine große Polizeioperation in mehreren Staaten wurde vorbereitet. Die Menschenfracht, die in Finnland entdeckt worden war, hatte dazu beigetragen, bei den Ermittlungen die letzten Lücken zu schließen. Wenn er die Informationen von Interpol an seine Erpresser weitergäbe, würde die jahrelange Arbeit der Behörden zumindest teilweise, vielleicht auch ganz zunichtegemacht, und tausende Kinder und Jugendliche würden leiden müssen, weil die Kriminellen ihre Aktivitäten dann rasch neu organisieren und dort weitermachen könnten, wo sie stehengeblieben waren. Und fallser seine Informationen nicht an die Erpresser weitergab, wäre es nur eine Frage der Zeit, dass man ihn bloßstellte, dann würde er gefeuert und wäre für den Rest seines Lebens als Perverser abgestempelt.
Das war keine leichte Entscheidung.
23
Sonntag, 15. August
19.45 Uhr war alles bereit, fünfzehn Minuten bevor die Terroristen mit ihren Spezialfahrzeugen in Sellafield am Eingang Calder Gate eintreffen wollten. Der frischgebackene Premierminister Großbritanniens hatte den Tagungsort des Krisenbewältigungskomitees COBR in das Herz von Westminster verlegt, in die unterirdische Stadt Citadel, die unter den wichtigsten Gebäuden der britischen Regierung versteckt war. Auch die Mitglieder des Aufklärungskomitees JTC, darunter die Chefs aller britischen Nachrichtendienste, sowie der Leiter des Joint Terrorism Analysis Centre JTAC waren anwesend. Eine riesige Lagetafel erstreckte sich über eine ganze Wand, und auf den Tischen am Rand standen Unmengen von elektronischen Geräten.
Die Hauptverantwortung für die operativen Ermittlungen zu den Anschlägen in Sellafield trug weiterhin der Krisenstab Riddle des MI5, aber auch das Personal des Auslandsnachrichtendienstes SIS, der Aufklärungsabteilung der Streitkräfte DIS, des Aufklärungsregiments SRR und des Staatlichen Kommunikationshauptquartiers GCHQ arbeitete mit voller Kraft. Durch die Kommunikationsverbindungen standen die Aufklärungseinrichtungen an verschiedenen Orten Englands in ständigem Kontakt mit dem COBR-Komitee.
»Wie ist die Lage?«, fragte der Premierminister.
»Das Schiff der Terroristen, die ›Pacific Hero‹, ist im Hafen von Barrow-in-Furness eingetroffen«, antwortete der Chef des GCHQ. »Die ›Pacific Hero‹ verfügt über ein INF3-Zertifikat der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation IMO und kann MOX-Brennstäbesowie Plutoniumoxid transportieren. Das Schiff wurde 2006 auf der Tamano-Werft in Japan gebaut, seine Länge beträgt 104 Meter, die Breite 17 Meter, das Zuladungsgewicht 4916 Tonnen, die Verdrängung 9667 Tonnen, es hat zwei Wärtsilä-Dieselmotoren mit je 3600 PS. An Deck sind zwei 23-mm-Flakgeschütze zu sehen, zwei Schiffsgeschütze von Bofors mit dem Kaliber 57 Millimeter sowie zwei 12,7-mm-Schiffsmaschinengewehre, wir wissen jedoch nicht, was sich alles unter Deck befindet. Unsere Skynet-Satelliten 5A und 5C wurden von ihren sonstigen Aufgaben abgezogen und stehen ausschließlich für diese Operation zur Verfügung. Wir erhalten fortlaufend Bilder von den Objekten, die wir sehen wollen, und hören sowohl die ›Pacific Hero‹ als auch die Spezialfahrzeuge der Terroristen ab.«
Der Premierminister nickte, schien aber nicht zufrieden zu sein. »Und die Situation in Sellafield?«
Der Technische Direktor des Unternehmens BNFL, das Sellafield verwaltete, räusperte sich. »Der hochradioaktive Atommüll in den Lagerbecken des
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