Weiss
hatte nicht die geringste Ahnung, was Mundus Novus gegenwärtig dort und auchanderswo in England tat, aber Kara könnte etwas finden, wenn er weiter so ungewöhnlich hartnäckig seine Nase in die Angelegenheiten von Mundus steckte. Es war dumm von Rostow, dass er ihm nicht erlaubt hatte, Kara zu eliminieren. Doch ein Mensch, der sein Verhalten nicht unter Kontrolle hatte, beging früher oder später einen Fehler. Auch Kara.
Er bereute die ganze Reise nach Finnland. Vor allem deshalb, weil der Augenblick des Todes für jemanden, der Gefühle studierte, eine echte Goldgrube darstellte. Doch diesmal war er gezwungen gewesen, alle seine Opfer in großer Eile zu liquidieren. Wenn die Möglichkeit bestand, verwendete er in der Regel ein Messer, mit Schusswaffen war alles zu schnell vorbei. Ihn interessierte jener Moment, in dem das Leben zu Ende ging, er wollte die Empfindungen seiner Opfer studieren, die kleinen Details, das Mienenspiel, die Ausbrüche von Angst und Entsetzen genießen. In seinen letzten Momenten, kurz bevor das Leben entwich, offenbarte der Mensch sein Innerstes, sein wahres Ich, seine Feigheit oder Tapferkeit.
***
Kati Soisalo starrte entgeistert auf Paranoids Wohnungstür, durch die Leo Kara gerade ins Treppenhaus verschwunden war. Was zum Teufel hatte Kara eigentlich vor? Kommt hier hereingerauscht wie eine Furie, fragt, wo Jukka Ukkolas Haus ist, will unbedingt kurz mal die Schlüssel dafür haben und weigert sich strikt zu erklären, worum es geht. »Später«, hatte er nur gemurmelt.
Doch ihre einzige Sorge war es jetzt, Vilma zu finden, alles andere, auch dass sie halbtot vor Müdigkeit war und Bauchschmerzen hatte, musste warten. Wenn Arbuzows Drohung zutraf, dann blieb ihr wirklich nur wenig Zeit.
Sie kehrte in Jonnys Arbeitszimmer zurück. »Die Zusammenfassung.«
»In den Kleinstädten der Provinz Veneto wohnen 29625 Mädchen,die bezogen auf Vilmas Geburtstag innerhalb eines Jahres geboren wurden«, sagte Paranoid. »Nach Aussage des Kollegen, der in die Datenbanken der italienischen Adoptionsorganisationen eingebrochen ist, wurden vor drei Jahren in Italien 3158 Kinder adoptiert, von denen dreihundertsechzig Mädchen ungefähr in Vilmas Alter waren. Als ich die Kinder in den Großstädten, dunkelhäutige und chinesische Kinder und jene, die aus anderen Gründen nicht in Betracht kommen, weggelassen habe, blieben hundertachtzehn Kinder übrig.«
»Auch das ist noch zu viel. Ich schaffe es auf keinen Fall, zu allen Kindern zu gehen«, erwiderte Kati Soisalo gereizt.
»Wir wissen ja nicht einmal, ob Vilma über eine Organisation in ihre … neue Familie gebracht wurde. Aber ich mache natürlich weiter, solange wie …«
Kati Soisalo schloss die Augen und schüttelte den Kopf.
***
Leo Kara stand im Wohnzimmer von Jukka Ukkolas Haus in Pitäjänmäki, den Schlüssel hatte er von Kati Soisalo bekommen. Dass Ukkola schon die ganze Zeit wusste, wo die entführte Vilma lebte, hatte er Kati nicht gesagt, aus Angst davor, was sie dann womöglich mit ihrem Exmann anstellen würde. Er selbst hätte Ukkola wahrscheinlich auch krankenhausreif geschlagen und wäre wieder einmal in einer Zelle gelandet, wenn er den Kerl in dem Moment zu fassen bekommen hätte, als er davon erfahren hatte. Was war das für ein Vater, der sein eigenes Kind Entführern überließ? Ukkola musste wirklich krank sein. Und es dürfte auch eine Straftat sein, dass er den Behörden Informationen vorenthielt. Allerdings hatte Ukkola andere Verbrechen begangen, die um ein Vielfaches schwerer wogen. Kara spürte, wie sich vor Wut seine Kopfhaut spannte.
Er ging durch die Zimmer im Erdgeschoss und blieb einen Moment stehen, um die Sammlung der japanischen Schwerter undMesser an der Wand zu betrachten. Dann stieg er die knarrende Holztreppe hinauf ins erste Stockwerk, trat in Ukkolas Arbeitszimmer und ging die Ordner und Unterlagen durch. Anscheinend rechnete Ukkola damit, Probleme zu bekommen, Kara fand nicht einmal all die Dokumente, von denen Kati nach ihrem letztjährigen Einbruch in das Haus berichtet hatte.
Jetzt waren der Keller und der Tresor an der Reihe. Der muffige Geruch wurde stärker, als Kara die Treppen hinunterstieg. Er tastete in dem stockfinsteren Keller an der Wand herum, fand schließlich den Lichtschalter und öffnete die Tür des Kartoffelkellers. Der kleine Tresor, ein Kaso E2–410, stand genau dort, wo Kati ihn vorgefunden hatte. Kara tippte in das elektronische Schloss Katis Zahlenreihe ein:
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