Weiss
Geringsten, momentan interessierte sie nur eins: Vilma. Wieder kamen ihr unversehens die Tränen.
Für wie viel Schlechtigkeit und Niedertracht bot die Welt Raum? Ungewollt musste sie daran denken, was man Vilma im schlimmsten Fall angetan hatte. Weltweit wurden jährlich etwa eine Million Kinder in den Dienst der Sex-Industrie gezwungen. Über drei Millionen Kinder lebten auf der Straße, ein großer Teil von ihnen als Prostituierte, und das kümmerte offensichtlich niemanden.
Kati Soisalo befand sich in einer Sackgasse. Die Botschaft hatte das Treffen im Innenministerium organisiert und behauptete nun, sie habe alles getan, was in ihren Kräften stand. Die stereotypen Aussagen der serbischen Polizei waren nicht sehr vielversprechend, Amnesty International besaß in Serbien kein Büro, und in der Belgrader Unicef-Filiale hatte man ihr geraten, sich an die Polizei zu wenden. Die serbische Kontaktperson der ECPAT, einer Organisation, die weltweit gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern und den Kinderhandel kämpfte, war immerhin bereitgewesen, mit ihr über Vilmas Fall zu reden. Die Frau konnte ihr zwar keine konkreten Ratschläge geben, aber zumindest bestätigte sie, dass in Serbien hinter Verbrechen auf dem Gebiet des Menschenhandels fast ausnahmslos einer der Befehlsempfänger von Bogdan Bojanić steckte.
Kati Soisalo hatte eine Entscheidung getroffen: Wenn niemand imstande war, ihr zu helfen, dann würde sie eben selbst versuchen herauszufinden, wo Vilma war. Doch damit das gelang, brauchte sie Informationen, irgendetwas, was sie Bogdan Bojanić bei einem Tauschgeschäft anbieten konnte.
Sie wischte Vogelkot von einer Parkbank und setzte sich hin, um Jonny Karlsson anzurufen. Er meldete sich sofort.
»Du hattest vorgestern gesagt, dass du abends anrufst«, sagte Jonny, es klang so, als wäre er beleidigt.
Kati Soisalo hatte keine Lust, um Entschuldigung zu bitten. Sie berichtete in einem Atemzug alles, was in Belgrad vorgefallen war.
In der Leitung herrschte Schweigen, während Jonny das Gehörte verarbeitete.
»Finde etwas über Bogdan Bojanić heraus«, bat Kati. »Ich brauche etwas, womit ich den Mann erpressen kann. Sonst bekomme ich Vilma nie zurück.«
»Dir ist hoffentlich klar, auf was für ein gefährliches Spiel du dich da einlassen willst?«, erwiderte Jonny.
»Ist dir klar, zu was für einem Spiel Vilma in den letzten drei Jahren gezwungen wurde?«, entgegnete sie barsch.
Jonny schwieg einen Moment. »Ich rufe an, wenn ich etwas gefunden habe.«
Kati Soisalo verabschiedete sich von ihrem Freund und stand gerade auf, als ihr Telefon klingelte. Sie freute sich, als sie Leo Karas Namen auf dem Display erblickte, und schilderte noch einmal ihre Situation.
Als sie fertig war, machte Kara ihr Mut: »Lass nicht locker.Paranoid ist an seinem Computer zu beachtlichen Zauberkunststücken fähig, es kann gut sein, dass er Informationen findet, mit deren Hilfe du vorankommst. Und ich könnte mich hier beim UNODC auch nach Bojanić erkundigen. Unsere Abteilung, die den Menschenhandel untersucht, ist die weltweit führende Einrichtung auf diesem Gebiet.«
»Bleibt wirklich nur zu hoffen, dass ich irgendwo Hilfe finde«, erwiderte Kati Soisalo, und es klang nicht sehr hoffnungsvoll. »Und du, wie stehen die Aktien in Wien?«
»Willst du das wirklich hören?«, fragte Kara. »Du hast doch selber schon genug Probleme.«
»Red frisch von der Leber weg«, befahl Kati Soisalo.
»Ich bin wieder auf den Namen von Viktor Hofman gestoßen. Es sieht so aus, als hätte der Mann neben den Forschungsprogrammen im Zusammenhang mit den Marschflugkörpern auch andere wissenschaftliche Projekte finanziert. Und eines davon wird jetzt im UNODC untersucht. Um ehrlich zu sein, es liegt auf meinem Schreibtisch.«
Kati Soisalo pfiff überrascht. »Dann sei auf der Hut.«
»Ich wollte dich eigentlich um einen Gefallen bitten. Auf Hofmans Konten wurden Millionen Euro überwiesen, die von finnischen Banken kamen. Ich glaube, Paranoid könnte helfen, denen auf die Spur zu kommen, die sie eingezahlt haben.«
»Wofür brauchst du mich da, ruf Paranoid an.«
4
Mittwoch, 11. August
Legoland nannten die Mitarbeiter des britischen Auslandsnachrichtendienstes SIS ihr Londoner Hauptquartier, das an die Stufenpyramiden der Azteken erinnerte. Das Gebäude in Vauxhall Cross, am Südufer der Themse, wurde von einem Wallgraben umgeben, seine speziell verstärkten Wände hielten der Wucht selbst einer starken Explosion stand.
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