Weiss
Legoland unterlag einem hohen Terrorismusrisiko und war Ziel der Aktivitäten feindlicher Geheimdienste, deswegen wurde es in die Kategorie A eingestuft.
Clive Grover, Leiter der Abteilung für Aufklärungsoperationen, setzte sich im Büro von Betha Gilmartin, der stellvertretenden SIS-Chefin, auf den Besucherstuhl. Der Mann, der bei operativen Einsätzen den Decknamen ›Kapellmeister‹ trug, besaß großes Geschick in der Menschenführung. Und wer seine graue Löwenmähne erblickte, dachte sofort an einen Dirigenten, der den Taktstock schwang.
»Jetzt ist keine Zeit, lange irgendwelchen Scheiß rumzulabern, du kannst gleich zur Sache kommen. Aber warte mal einen Moment«, sagte Betha Gilmartin in barschem Ton und beugte sich vor, um etwas in ihr Notizbuch zu schreiben, das in Leder gebunden war.
Grover wunderte sich nicht über ihre unverblümte Ausdrucksweise, die Frau redete wie ein Kerl und stand außerdem stark unter Stress. Für ihre Ernennung zum SIS-Chef, die schon längere Zeit als sicher galt, waren in den letzten Monaten Hindernisse aufgetaucht. In dem erzkonservativen Nachrichtendienst gab es immer noch jede Menge Geheimdienstleute der alten Schule, Absolventenvon Oxford und Cambridge, die sich nicht entscheiden konnten, ob sie mehr Verachtung dafür empfanden, dass Gilmartin eine Frau war, oder dass sie an der Universität Edinburgh studiert hatte. Gerüchten zufolge lag Gilmartin im Wettstreit um den Chefposten allerdings immer noch in Führung.
»Auf dem Kernkraftwerksgelände des französischen Atomenergiekommissariats im südfranzösischen Marcoule wurden gestern Hunderte Kilo … Elemente gestohlen. Bei einem sehr eindrucksvollen und professionellen Anschlag«, berichtete Grover, als Betha Gilmartin ihre Notizen beendet hatte.
»Ach, diese Franzosen. Letztes Jahr fand ihr Atomenergiekommissariat im KKW Cadarache dreißig Kilo mehr Plutonium, als die Buchführung der Anlage auswies. Angeblich hatten sie versäumt, einen Teil des Plutoniums in die Bestandsliste einzutragen«, sagte Betha Gilmartin und lachte.
Grover zog die Augenbrauen hoch. »Du hast hoffentlich nicht die Probleme in Sellafield vor fünf Jahren vergessen. Dort fehlten in der Buchführung dreißig Kilo Plutonium. Damit könnte man sieben Atombomben herstellen.«
Betha Gilmartin kehrte zum Thema zurück: »Und warum soll mich … uns dieser Vorfall in Marcoule interessieren?«
»Wir verfolgen natürlich von Amts wegen alle Anschläge auf dieser Ebene, in Marcoule werden ja tonnenweise das für die Herstellung von Kernwaffen geeignete Plutonium-Isotop Pu-239 und das zum Auslösen von Kernwaffen verwendete radioaktive Wasserstoff-Isotop Tritium gelagert …«
»Mann! Das weiß ich selber. Komm zur Sache, du knauserst wieder mal mit deinen Informationen wie eine Teenagerin«, knurrte Betha Gilmartin.
Grover rückte den tadellos sitzenden Kragen seines hellroten Hemdes zurecht. »Bei den Ermittlungen des französischen Nachrichtendienstes DCRI tauchte der Name eines … alten Bekannten von uns auf – Manas.«
Betha Gilmartin warf einen besorgten Blick auf ihren Pulsmesser. Der Wert durfte hundertzehn nicht überschreiten, das war eine Anordnung des Arztes. Sie lehnte sich zurück und versuchte zu entspannen.
Der Anblick war Grover vertraut, er wartete einen Augenblick und fuhr dann fort: »Die Franzosen haben die Aufnahmen der Überwachungskameras von Marcoule untersucht und festgestellt, dass einer der Männer eindeutig als Anführer in Erscheinung getreten ist. Er hat zweimal etwas gesagt«, Grover schaute auf seine Unterlagen. »›
Halt! Ruhe!
‹ und ›
Alles in Ordnung, jetzt schnell raus!
‹«
»Das hat gereicht, um ihn als Manas zu identifizieren?«, fragte Betha Gilmartin.
»Die Ermittler des DCRI haben in ihrem Register eine Sprachprobe des Mannes gefunden, genauer gesagt war es die Probe, die wir ihnen geschickt haben, dieselbe, die unser Kommunikationshauptquartier GCHQ bei den Ermittlungen zu den Marschflugkörpern im vorigen Jahr eingefangen hatte. Laut Stimmanalyse war der Leiter des Kommandos bei dem Angriff auf Marcoule mit zweiundneunzig Prozent Wahrscheinlichkeit Manas.«
»Was wurde in Marcoule gestohlen?«
»Das ist das Merkwürdige – etwa vierhundert Kilo seltener Metalle und Elemente. Das mit Abstand meiste ist Iridium.«
Betha Gilmartins Miene verriet, dass sie nicht ganz folgen konnte.
Grover blätterte in seinen Unterlagen. »Iridium ist ein extrem hartes Metall der Platingruppe, neben dem
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