Weiss
vielleicht war es noch nicht zu spät.
Die Tür der Telefonzelle knallte, Sabrina Pianini war an der Reihe. Sie trat hinein, nahm den Hörer ab und hörte ein Tuten. Der Apparat hatte eine Öffnung für Telefonkarten. Sie tippte Guidos Handynummer ein, dann noch ein zweites und drittes Mal, aber es erklang nur ein monotoner weißrussischer Rufton. Plötzlich klopfte jemand an die Tür.
Sabrina Pianini drehte sich um, sah eine ältere, heftig gestikulierende Frau mit Kopftuch, knallte den Hörer hin und bemerkte etwa zwanzig Meter entfernt Aleh Kovel. Er zeigte auf das Haus und redete voller Eifer auf eine etwa zehnköpfige Gruppe ein, die ihm hastig folgte. Verdutzt beobachtete Sabrina Pianini, wie zwei Männer mit einer Systemkamera das Haus aufnahmen, das sie eben verlassen hatte, eine Frau trug auf der Schulter eine Kameratasche.
Brechreiz überkam sie, als ihr klar wurde, worum es hier ging, sie musste die Telefonzelle verlassen, sich hinkauern und tief durchatmen. Kovel hatte als oppositioneller Journalist gearbeitet und versucht gegenüber westlichen Medien Missstände der Diktatur von Präsident Lukaschenko aufzudecken. Und sie hatte ihm erzählt, dass sie nach ihrer Entführung in Italien hier in Weißrussland gelandet war, in einem Forschungszentrum mitten im Wald. An einem Ort, den Kovel kannte. Da hatte er die Chance gewittert,Aufsehen in der Weltöffentlichkeit zu erregen. Kovel beabsichtigte, den Medien ihre Geschichte preiszugeben und so international für Schlagzeilen über das brutale Vorgehen der Behörden Weißrusslands zu sorgen. Kovel wollte ihr nicht etwa helfen, sondern sie ausnutzen. Die weißrussischen Behörden würden garantiert von ihr und Aleh Kovel erfahren, noch bevor auch nur ein Wort veröffentlicht war, und sie landete wieder in dem Forschungsinstitut.
Sabrina Pianini lief zum Fußweg einer stark befahrenen Straße und sah das M einer Metrostation. Dorthin ging sie besser nicht, war es denn nicht so, dass bei Fahndungen nach Flüchtigen gerade in den öffentlichen Verkehrsmitteln, auf Bahnhöfen und Metrostationen besonders intensiv gesucht wurde? Was zum Teufel sollte sie tun? Sie war inzwischen an einem großen Park angekommen und stellte fest, dass sie nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, was für ein Wochentag es war. Angesichts der vielen Jugendlichen, die auf dem Rasen herumlagen, Musik hörten und Getränke konsumierten, war es vermutlich Freitag oder Sonnabend. Vielleicht fand sie ein paar freundliche Leute, bestimmt sprachen auch die Weißrussen Englisch, vielleicht hatte sie Glück und jemand borgte ihr sein Handy. Und wenn nicht, dann würde sie eben irgendwo eins klauen, verdammt noch mal. Oder vielleicht wagte es jemand, ihr zu helfen. Doch zuallererst brauchte sie etwas, das ihr Erleichterung verschaffte.
16
Samstag, 14. August
Das Cabinet Office, das den Premierminister und die Regierung unterstützte, hatte seinen Sitz in 70 Whitehall. An diesem Ort ließ König Heinrich VIII. im 16. Jahrhundert ein Theater erbauen, das auch als Arena für den Hahnenkampf diente. Von dieser Atmosphäre war man auch jetzt nicht weit entfernt, denn der Premierminister hatte neben dem COBR-Komitee, das auf Terroranschläge in Großbritannien reagieren sollte, auch die Mitglieder des Joint Intelligence Committee JIC in den Beratungsraum A gerufen, also etwa zwanzig Spitzenbeamte, zwanzig Ausgaben eines übergroßen Egos. Zusätzlich zu den Vertretern der Nachrichtendienste und Polizeiorgane saßen in den Komitees die Repräsentanten der wichtigsten Ministerien.
Man hatte es in Sellafield nicht geschafft, die Reservesysteme in Betrieb zu nehmen. Es war nicht gelungen, die Steuerung der Wiederaufbereitungsanlage für nukleare Abfälle THORP zu schließen, die Anlage ließ sich nicht isolieren, die Terroristen kontrollierten weiterhin zumindest einen Teil der Datensysteme von
THORP.
Die Lageberichte der Aufklärungsabteilung der Streitkräfte DIS, des Aufklärungsregiments SRR und des Staatlichen Kommunikationshauptquartiers GCHQ zur Gefahr eines Terroranschlags auf Sellafield hatte man schon gehört, jetzt nahm der Chef des Geheimdienstes MI5 das Wort.
»Die Ermittlungen zu der Explosion vorgestern in Sellafield kommen gut voran. Andrew Snow, der Leiter der Abteilung für die Lagerung ungefährlicher Stoffe, war bestochen und an demPlan beteiligt, dessen Ziel wahrscheinlich darin bestand, Plutonium aus Sellafield zu stehlen. Im Background von Fahrer und Beifahrer des
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