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Weiss

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Titel: Weiss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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zweit durch, bevor wir andere hineinreden lassen. Ich bin in einer halben Stunde da«, schnauzte Ukkola ihn an und beendete das Gespräch.
    »Now we are getting somewhere«, sagte Kati Soisalo und hätte fast ein Lächeln zustande gebracht, wäre ihr nicht im selben Moment eingefallen, dass sie gleich ihren Arzttermin verpasste.
    ***
    In der Einzimmerwohnung im dreizehnten Stockwerk eines heruntergekommenen Plattenbaus aus Sowjetzeiten stank es nach Kohl und Knoblauch. Die dicke Staubschicht, die Berge von alten Zeitungen und schmutzigem Geschirr verrieten, dass in der Bude vermutlich seit Monaten kein einziges Mal saubergemacht worden war.
    Sabrina Pianini lag auf einem ausgebleichten Plüschsofa und hatte überall Schmerzen, auch an Stellen, an die man eher selten dachte, wie die Kniekehlen. Sie hatte alles erbrochen, ihr Magen war leer, die Hand zitterte, während sie das Wasserglas zum Mund führte, ihr war so, als hätte sie Fieber. Dann wurde ihr Körper von einem Schüttelfrostanfall erschüttert, die Haut juckte überall. Natürlich hatte sie gewusst, dass Heroin eine stärkere Abhängigkeit bewirkte als jedes andere betäubende Schmerzmittel und ein intensiveres Verlangen nach Drogen und heftigere Entzugserscheinungen hervorrief als jedes andere Rauschgift. Aber jetzt wusste sie leider auch, was das in der Praxis bedeutete. Jede Zelle ihres Körpers schrie nach mehr Heroin.
    In der Wohnung hatte sie mit Aleh Kovel im Fernsehen verfolgt, wie die Behörden Weißrusslands sie als Terrorismusverdächtige suchten. Das glich einem schlechten Traum. Oder einem schlechten Witz. Sabrina Pianini wusste nicht, was sie tun sollte, wenn Kovel nicht bald zurückkehrte. Der Dissident wollte ihr einen Pass und ein Visum besorgen, aber die waren ihr im Moment völlig egal, sie brauchte jetzt etwas, was ihr Erleichterung verschaffte. Angeblich kannte Kovel einen Arzt, der Heroinsüchtigen Rezepte verschrieb, sofern man über das Honorar Einigung erzielte.
    Sabrina Pianini warf einen Blick hinaus und sah, dass die Sonne gerade unterging. Panik erfasste sie. Und wenn Kovel nun erst morgen zurückkam? Die Nacht würde sie nie und nimmer überstehen, die Schmerzen wurden ständig schlimmer, vermutlich konnte man an den Entzugserscheinungen auch sterben. Doch es gab keine Alternativen, sie musste einfach nur warten und leiden. Wenn sie in Minsk ohne Geld und Sprachkenntnisse herumlief, würde man sie schon nach wenigen Minuten aufspüren. Und Kovel hatte versprochen, ihr auch ein Handy mitzubringen. Dann könnte sie endlich Guido und die italienischen Behörden anrufen.
    Durch die Schmerzen kam sie ihrem Bruder anscheinend noch näher, war für ihn das Leben ständig so gewesen? Guido hatte von Geburt an immer gekränkelt, sie hingegen war bis heute stets gesund geblieben. Sabrina Pianini stand auf und trat ans Fenster.
    Sie betrachtete die Landschaft, die von den hässlichen Wohntürmen und dem Asphalt beherrscht wurde, und bemerkte plötzlich auf dem Hof des Hauses eine kleine Kabine, vor der ein Junge stand, er hatte die Hände in den Taschen und spielte mit Steinen Fußball. War das eine Telefonzelle? Sie durchwühlte wie ein Wirbelsturm die ganze Wohnung, Schränke, Fächer, Küche, Bad, fand jedoch keine einzige Münze. Ein R-Gespräch, vielleicht könnte sie auf Kosten des Empfängers anrufen …
    Sabrina Pianini nahm von der Garderobe Jeans und einen muffigen Mantel. Beide waren ihr etwas zu groß, aber die zerknitterten Sachen aus dem Forschungsinstitut wollte sie nicht anziehen, um nicht aufzufallen.
    Der Fahrstuhl funktionierte nicht, sie musste die Treppe benutzen. Der Weg durch dreizehn Etagen des Wohnhauses in Minsk war für ihren Geruchssinn wie eine Fahrt mit der Achterbahn. Hörte sie da irgendwo das Gackern eines Huhnes? Nach dem Gestank im Treppenhaus erschien ihr die Luft draußen wie ein Fest, obwohl sie auch nicht gerade die allerfrischeste war. Sie blieb vorder Telefonzelle stehen. Der junge Mann, der so ungeduldig ausgesehen hatte, stand jetzt in der Zelle und plapperte ohne jede Eile mit einem seligen Lächeln. Garantiert redete er mit seiner Freundin.
    Das Gespräch zog sich in die Länge, ihre Befürchtungen, dass es Guido schlechtging, wurden von Minute zu Minute größer. Das Krankenhaus hatte hoffentlich die Suche nach einem neuen Nierenspender eingeleitet, sie mussten es doch wenigstens versuchen. Wenn sie anrufen und Hilfe bekommen könnte, würde sie es bestenfalls morgen bis nach Florenz schaffen,

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