Weissbier im Blut - Ein Kriminalroman aus dem bayerischen Unterholz
zumute.
»Wo kommen Sie überhaupt her?«
»Aus Rechenbrunn.«
»Was machenS’ denn da? Ich hab den Fall doch dem Kollegen Klotz übertragen. HabenS’ das überhaupt nicht registriert? Waren Sie da zu betrunken dazu?«
»Wahrscheinlich.«
»Außerdem sind Sie doch wieder mal krankgeschrieben. Oder vielleicht nicht?«
»Doch.«
»KommenS’ amal mit.«
Kreuzeder trottete hinter ihm her. Er hielt den Becher am oberen Rand. Becker marschierte in sein Büro, steuerte den Schreibtisch an und fischte ein Papier von der mehrstöckigen Ablage, das er mit ebenso spitzen Fingern anfasste wie sein Untergebener den heißen Kaffeebecher.
»Was haben Sie denn dieser Psychologin erzählt?«
»Wieso?«
»Dieses Gutachten ist eine einzige Unverschämtheit. Da steht nur Schwachsinn drin. Aber das ist der Gipfel: › Herr Kreuzeder leidet unter einem übermotivierten Chef. ‹ Was soll denn das heißen?«
»Keine Ahnung.«
»Und dann das hier: › Herr Kreuzeder ist von übermäßiger Sensibilität, die er mit Alkohol zu betäuben versucht. ‹ Seit wann sind Sie sensibel?«
»Sie haben mich ja da hingeschickt.«
»Das ist doch alles Schwachsinn, was da steht. Damit kann ich nichts anfangen. Sagen wir’s doch, wie es ist. Sie sind ein arbeitsscheuer Alkoholiker, der durch zwanzig Jahre Mordkommission seelisch bestialisiert ist und zu nichts mehr zu gebrauchen.«
»Sie sind schon dreißig Jahre bei dem Verein.«
»Aber die letzten fünfzehn war ich nur noch am Schreibtisch. Sie waren immer an der Front. Zwanzig Jahre lang nur Leichen, Mörder, menschliche Abgründe. Ich versteh, was da mit Ihnen passiert ist. Das ist mir ganz klar. Sie fangen deshalb keine Mörder mehr, weil Sie längst die Seiten gewechselt haben.«
»Hat die das geschrieben, die Frau Doktor?«
»Die? Die hat lauter Blödsinn geschrieben.«
Das Blatt zitterte, als er wieder daraus vorlas.
» › Die niedrige Aufklärungsquote von Kommissar Kreuzeder resultiert aus einem radikalen Zweifel am Schuldprinzip. ‹ Was soll denn das heißen?«
Kreuzeder nippte vorsichtig an seinem Kaffee. Er war immer noch zu heiß.
»Das heißt, dass Sie nichts dafür können.«
»Ich? Wofür?«
»Für Ihren Bluthochdruck zum Beispiel.«
Beckers Gesicht verfärbte sich.
»Mein Bluthochdruck, Herr Kreuzeder, den lassenS’ gefälligst in Ruhe, weil der geht Sie überhaupt nichts an! Rein gar nichts! Und überhaupt sind Sie derjenige, der mir diesen Bluthochdruck beschert hat! Weil Sie mich regelmäßig zur Weißglut treiben!«
»Sag ich doch.«
»Sie gehören eingesperrt, Herr Kreuzeder! Sie sind eine Bedrohung für die gesamte Menschheit. Genau genommen gehört jeder Mordkommissar, der länger wie zwanzig Jahre im Dienst ist, hinter Gitter. Aber da sind mir die Hände gebunden, weil das macht unser Justizwesen nicht mit, und deshalb hab ich einen Bluthochdruck!«
»Eben.«
»Sie sind suspendiert! Ich suspendier Sie vom Dienst, und zwar augenblicklich!«
»Danke. Ich würd mich gern einer Behandlung unterziehen.«
»Einer Behandlung?«
»Ja. Bei der Frau Doktor März. Können Sie das in die Wege leiten?«
»Das klingt ja jetzt zum ersten Mal einigermaßen vernünftig. Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung, Herr Kreuzeder. Aber dieses Gutachten, das muss diese Psychotante noch mal überdenken. Das geht so nicht.«
19
Frau Dr. März war sich nicht ganz im Klaren, ob sie den Kommissar Kreuzeder selber behandeln sollte. Die meisten Patienten, die sie als gefährdet einstufte, überwies sie sowieso an frei praktizierende Kollegen. Vielfach ging es um das sogenannte Burnout, also dass die Betreffenden auf dem Zahnfleisch daherkamen. Dazu kam dann das übliche Zeug, Eheprobleme, Schuldenberge, Sinnkrisen, meistens in dieser Reihenfolge. Dann gab es die Sensiblen. Das waren zum Beispiel Streifenpolizisten, denen es zu schaffen machte, wenn sie bei Unfällen verbrannte oder zerfetzte Leichen gesehen hatten und dann auch noch zu den Angehörigen fahren mussten und ihnen sagen: »Gute Frau, Ihr Mann ist tot, liebe Kinder, euer Papa kommt nicht wieder, aber das Leben geht weiter, tut mir leid.« Der Fachbegriff für das, was danach mit diesen Polizisten passierte, lautete »posttraumatische Belastungsstörung«. Da kamen diese Erlebnisse nachts wieder hoch, manche Beamte schrien dann sogar und einige wurden depressiv, wenn sich so was häufte.
Ein Kommissar vom Morddezernat konnte sich eine posttraumatische Störung gar nicht leisten, weil bei ihm die
Weitere Kostenlose Bücher