weißblau queer gestreift
zur Untersuchung vorbeikommen muss. Am Telefon schwindelt sich’s leichter. Und eine Woche Auszeit wäre nicht schlecht. Vielleicht schickt sie mir den Schein sogar per Post? Das wäre echt praktisch … Ob sich Dr. Baldauf darauf einlässt? Sie kennt mich immerhin schon seit dreißig Jahren.
Als Kind war ich richtig gerne bei ihr, ich war eine sehr tapfere und motivierte Patientin. Wahrscheinlich, weil ich ein bisschen für sie geschwärmt habe. Mit acht, neun Jahren habe ich mir manchmal Krankheiten ausgedacht, nur damit mich meine Mutter zu ihr fährt – damals hat sie echt toll ausgesehen, mit ihren langen roten Haaren und ihren strahlenden grünen Augen. Doch Dr. Baldauf hat bald gemerkt, dass ich meine kleinen Leiden nur vorgegaukelt habe. Sie hat gemeint, ich würde nicht so gern in die Schule gehen und mich davor drücken wollen. Das hat freilich auch gestimmt, war ja aber nicht der Hauptgrund. Den hat sie nie erraten – und ich habe natürlich auch nichts gesagt. Jedenfalls, nachdem sie mir das mit dem Drücken gesagt hatte, habe ich gleich damit aufgehört, mir Krankheiten auszudenken. Ich wollte bei meinem Schwarm keinen schlechten Eindruck hinterlassen.
Nun ist Dr. Baldauf über sechzig und bei weitem nicht mehr so knackig. Ich war schon ein paar Jahre nicht mehr bei ihr. Aber sie kennt mich gut, genau wie den Rest der Familie. Alle Hinterdoblers sind ihre Patienten. Und ich weiß von meinem Bruder Schorsch, dass er mal eine Krankschreibung bekommen hat, ohne sich untersuchen zu lassen. Damals, als diese schwere Magen-Darm-Grippe das halbe Dorf lahmgelegt hat. Na, was soll’s, ich werde es mal versuchen! Mehr als nein sagen kann sie ja nicht. Außerdem geht’s mir wirklich hundsmiserabel.
Um neun Uhr öffnet die Praxis. Vielleicht kann ich Dr. Baldauf sprechen, bevor sie den ersten Patienten aufruft, kriege sie so persönlich ans Telefon?
Ich öffne die Augen und erhebe mich langsam vom Sofa. Müde schlurfe ich zum Schreibtisch. In der oberen Schublade liegt mein Adressbuch. Ich hole es heraus und suche nach der Nummer meiner Ärztin. Dann greife ich zum Telefonhörer. Ich warte, bis es Punkt neun Uhr ist, atme tief durch und wähle. Nach dem zweiten Läuten wird abgehoben. Es erklingt die Stimme der jungen Sprechstundenhilfe. »Praxis Dr. Baldauf?«
»Grüß Gott, hier ist Adelheid Hinterdobler. Wäre es möglich, kurz mit Frau Dr. Baldauf persönlich zu sprechen?«
»Hm, warten Sie, die Frau Doktor kommt gerade herein. Ich frage sie mal. Bitte bleiben Sie kurz dran …«
Ich höre ein kurzes Mauscheln, dann die Stimme meiner Ärztin: »Adelheid Hinterdobler? Was kann ich für dich tun?«
»Grüß Sie, Frau Dr. Baldauf. Ich, ähm … hätte eine besondere Bitte. Wissen Sie, es geht mir wirklich nicht gut, ich liege seit zwei Tagen mit Fieber im Bett. Nun habe ich leider kein Auto und niemanden, der mich heute zu Ihnen fahren kann. Ich bräuchte aber dringend ein ärztliches Attest, um mich von der Arbeit abzumelden. Wäre es vielleicht möglich, dass Sie …«
»Ich weiß, worauf du hinauswillst, aber das mache ich normalerweise nicht.«
»Und ausnahmsweise?«
»Adelheid, ich kenne dich schon seit vielen Jahren! Ich habe den Verdacht, dass du gerade nicht ganz ehrlich zu mir bist. Deine Stimme hört sich so an. Außerdem weiß ich von der besonderen Lage, in der du momentan steckst.«
»Ähm … besondere Lage?«
»Ich meine dein Outing im Dorf.«
»Ah. Und … durch wen wissen Sie davon?«
»Dir ist doch bekannt, dass viele meiner Patienten aus Dabering kommen. Und derartige Nachrichten verbreiten sich ohnehin schnell.«
»Ach du Sch…ande!«
»Wenn ich dir einen Rat geben darf: Versteck dich nicht. Dadurch wird alles nur schlimmer.«
»Ja, aber …«
»Adelheid, sei vernünftig. Nicht alle Leute werden dir gegenüber Vorbehalte haben. Das wirst du schon noch feststellen. Also gib dir einen Ruck und geh heute zur Arbeit!«
»Jawohl, Frau Doktor … ist gut.«
»Ich wünsche dir alles Gute, Adelheid. Denke positiv!«
»Danke.«
»Schon recht. Auf Wiederhören.«
»Auf Wiederhören.«
Ich lege auf. Mist! Schon wieder eine, die mich durchschaut und mir die Meinung sagt. Ich schlurfe genervt ins Schlafzimmer und werfe mich aufs Bett.
◊◊◊
Ich habe für Jens Pizza gebacken, weil er die so gerne isst. Während des Essens war er ziemlich schweigsam. Nun hat er seinen Teller geleert und lehnt sich zufrieden zurück. Da fällt sein Blick auf die Couch. »Von wem
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