Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
die Basen mächtiger Säulen erkennen, die links und rechts neben der Eingangstür zur fürstlichen Behausung emporragten.
Sie wagte jedoch nicht wie gestern, den Kopf unbekümmert hinauszustecken, und sich einen Gesamteindruck von dem Palais zu verschaffen. Dazu gäbe es gewiss noch reichlich Gelegenheit, aber es wunderte sie, dass sich die Promenade an dieser Stelle so weit verjüngte. Jeweils nur zwei Wagen konnten nebeneinander passieren.
Sie starrte immer noch gedankenverloren aus dem geöffneten Fenster, als sich ein freundliches Gesicht von einem Pferd zu ihr herunterbeugte.
„Einen wunderschönen guten Morgen, die Damen“, grüßte Trebbow in das Kutscheninnere.
Der Wagen kam nun endgültig zum Stehen. Johannas heimliche Befürchtungen waren wie weggeblasen. Sie setzte sich zurück und versteckte ihre tatsächlichen Empfindungen hinter einem reservierten Gruß, ohne unfreundlich zu sein.
„Ah, guten Morgen, die Herren“, begrüßte Baronin von Plessen die stattliche Erscheinung. Madame, wegen ihrer fünfjährigen Witwenschaft daran gewöhnt, Ansprechpartnerin zu sein, plauderte sofort unbefangen drauflos. „Ich bin erstaunt, wie schnell Sie meinen Wagen in diesem gewaltigen Aufkommen gefunden haben. Man könnte meinen, Sie hätten sich ein Zeichen an meine Karosse gemacht“, scherzte sie mit beiden jungen Männern, inzwischen war auch Stetten ins Blickfeld der Damen geritten. Er grüßte ebenso zuvorkommend.
„Nein, nein! So etwas würden wir uns niemals erlauben, Madame. Wir haben in der Nähe des Logierhauses auf Ihr Erscheinen gewartet, damit wir Sie nicht verpassen.“
„Wie überaus aufmerksam von Ihnen, ich bin gerührt. Sagen Sie, Herr Rittmeister, warum geht es denn nicht weiter?“
„Die Kolonne aus der Poststraße ist noch nicht ganz durch. In der vergangenen Woche haben wir uns den Spaß erlaubt, alle vorbeifahrenden Gespanne zu zählen und sind dabei tatsächlich auf 151 Wagen gekommen. Für so einen kleinen Flecken wie Doberan ist eine solche Zahl wirklich erstaunlich. Aber wenn alle Gäste zur gleichen Zeit aufbrechen, müssen Sie wohl oder übel kleine Wartezeiten an den Wegeinmündungen in Kauf nehmen.“
Johanna war beeindruckt, die Vorstellung 151 aneinandergereihter Gespanne wollte ihr jedoch nicht gelingen. Dann sagte sie sich, keiner Vorstellung zu bedürfen, sie brauchte doch nur die Augen offen zu halten. Sie war ein Teil der Badegesellschaft, würde alles erleben, was ihr jetzt noch unvorstellbar erschien und dabei gewiss eigene Eindrücke gewinnen.
Die Equipage setzte sich erneut in Bewegung, nun von den Offizieren eskortiert. Ein patiniertes Kupferdach, gekrönt von einem Dachreiter, spitzte schon bald über das Laub einiger Bäume. Johanna vermutete, die Bedachung der Doberaner Zisterzienserkirche vor sich zu haben. Zog man in Betracht, dass die Zisterzienser sich dem turmlosen Kirchenbau verpflichtet hatten, so hatten es die gotischen Baumeister mit dem himmelwärts strebenden Dachreiter vorzüglich verstanden, dem Bauwerk ein i-Tüpfelchen aufzusetzen. Johanna hatte schon einiges über die ehemalige Klosterkirche gelesen, wusste, sie sei Begräbnisstätte vieler mecklenburgischer Fürsten; kunstvolle Kupferstiche, auch nach neuerer Steindruckmethode hergestellte farbliche Darstellungen des Doberaner Münsters hatte sie gesehen. Doch nichts ersetzte das eigene Erleben. Johanna dachte an Christian von Stettens leidenschaftlichen Satz über das Meer.
Die alte Klostermauer verbarg die viele hundert Jahre alte Kirche vor weiteren neugierigen Blicken. Die Kutsche nahm Fahrt auf.
„Was ist eigentlich mit Monique, Mama. Warum fährt sie nicht mit uns?“, fragte Margitta unvermittelt.
„Aber Kind, überleg doch mal selbst“, rügte Baronin von Plessen, „Monique auf der Fahrt nach Doberan in der Kutsche mitreisen zu lassen, war eine Sache. Wie anders hätte ich das Mädchen hierher bekommen sollen?
Aber nun ist ihr Platz dort, wo sie hingehört, bei den Dienstboten. Ich habe ihr eine Mitfahrgelegenheit besorgt. Sie wird uns am Heiligen Damm schon wiederfinden oder wir finden sie, wie es sich auch immer ergeben mag.“
Margitta schwieg und schaute wie Johanna erwartungsvoll aus dem Fenster. Der Weg zum Heiligen Damm hielt keine unliebsamen Überraschungen bereit. Der Fahrdamm war gepflegt. Der Wagen kam rasch und in angenehmer Art und Weise voran.
Ein Buchenwald löste Felder und Wiesen ab und versperrte die Sicht nach Norden, wohingegen der Blick nach Süden
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