Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Baronin von Plessen schrieb das Verhalten ihrer Tochter der Wirkung ihrer Worte zu. Wie hätte sie ahnen können, Margitta koche insgeheim vor Wut, weil die Mutter keine Gelegenheit ausließ, die Macht über die einzige Tochter unter Beweis zu stellen.
Infolgedessen blickten die jungen Leute der Matrone, die inzwischen in Richtung Bade- und Gesellschaftshaus davoneilte, mit einiger Erleichterung nach. Monique stolperte ihr unbeholfen hinterdrein, anscheinend kam die Zofe noch nicht mit dem Kieselstrand zurecht, der bei jedem ihrer Schritte nachgab.
„Da Ihr ehrenwerter Bruder nicht anwesend ist, möchte ich Ihnen meinen Arm anbieten. Ich werde Sie vor jeder Bedrohung zu beschützen wissen.“ Stetten verbeugte sich förmlich vor Johanna und reichte ihr den Arm, an dem sie sich nur zu gern festhielt. Verlegen schaute sie dann noch zu Margitta hinüber, die aber zu ihrer Beruhigung ein ähnliches Angebot von Trebbow erhielt.
Beide Pärchen flanierten über den steinigen Strand, der für Damen mit zierlichem Schuhwerk schwierig zu meistern war. Johanna strauchelte, wurde aber von ihrem Begleiter geschickt aufgefangen. Ihre Unsicherheit war Stetten Begründung genug, ihren Arm noch fester an sich zu drücken und seine freie Hand auf die ihre zu legen.
Johanna wurde es heiß, sie wagte nicht, Stetten anzuschauen. Sie richtete ihren Blick auf den weißen Sand zu ihren Füßen, der allewege steinige Hindernisse bereithielt. Plötzlich blieb Stetten stehen und bückte sich nach einem dieser Steine.
„Schauen Sie nur, welch eigenartige Gebilde das Meer an den Strand spült.“ Er hielt ihr einen talergroßen rötlichen Stein hin.
Fast hätte sie ihn fallen lassen. Der Stein war nur kalter Granit, doch seine Form – ein kleines Herz – ließ ihn in ihrer Faust brennen wie eine glühende Kohle. Sie umschloss ihn mit ihren Fingern und spürte seine glatte Oberfläche durch ihren Handschuh hindurch.
Ist dies ein Wink seines Herzens oder hat Christian den Stein nur aufgehoben, weil er Gefallen daran gefunden hat? dachte sie aufgeregt. Johanna wünschte sich die Unbefangenheit zurück, mit der sie sich noch vor kurzem über Franz unterhalten hatten.
„Ja, er ist wunderschön“, konnte sie nur sagen.
„Wissen Sie, unter Wasser sehen all diese Steine bei weitem schöner aus. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.“ Er hielt ihr seine Hand hin.
Johanna deutete die Geste durchaus richtig und gab ihm den Stein nach kurzem Zögern und unter Bedauern zurück.
„Warten Sie hier, ich bin gleich wieder da.“
Margitta, die sich angeregt mit Trebbow unterhielt, schloss zu Johanna auf. Auch Elvira, die sich Steine sammelnd ein wenig zurückfallen lassen hatte, erreichte die Mädchen und den Rittmeister. Stetten eilte hinunter zum Wasser, lief aber ebenso schnell zurück zu der kleinen Gesellschaft. In der Mulde seiner Handflächen lag der Stein – jetzt von Seewasser bedeckt. Stetten ließ alle hineinschauen und blieb erwartungsvoll vor Johanna stehen. Inzwischen schlenderten die anderen weiter.
Johanna sah hinunter auf seine Hände, auf das steinerne Herz. Es zeigte sich dunkel und blank poliert, glitzernd, wie mit Edelsteinen besetzt. Die Verwandlung war beeindruckend. Als Johanna aufschaute, bemerkte sie seinen Blick. Unterdessen rann das Wasser durch seine Finger und versickerte im Sand. Sie nahm den nassen Stein an sich, versteckte ihn in ihrer Faust und presste sie an die Brust.
„Ich betrachte das kleine Kunstwerk der Natur als ein Geschenk für mich. Darf ich fragen, ob ich es behalten kann?“
„Natürlich dürfen Sie fragen, Komtesse“, erwiderte Stetten provokant.
„Ich wollte nur höflich sein“, stellte sie mokant lächelnd richtig. „Sie werden es doch nicht wagen, Ihr Herz von mir zurückzuverlangen.“ Zu spät bemerkte sie die Doppeldeutigkeit ihrer Worte.
„O nein, wie könnte ich. Ich überlasse es Ihnen nur zu gern“, beruhigte Stetten. Er nahm ihre Faust in beide Hände und küsste sie galant. Sie bedauerte zutiefst, Handschuhe zu tragen, die Berührung seiner Lippen kaum zu spüren. Seine Worte hallten ihr in den Ohren wider und ließen sogar das Rauschen der Wellen verblassen.
„Johanna, Liebes, kommst du?“
Der Wind trug Elviras Worte in die Zweisamkeit und holte Johanna in die Wirklichkeit zurück, in der es Gouvernanten mit eindeutigen Aufgaben gab.
„Ja, wir kommen gleich.“ Sie winkte Elvira kurz mit der freien Hand und ließ es gern geschehen, dass Stetten die andere weiterhin
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