Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
über sanft gewellte Hügel gleiten konnte, bis er sich am Horizont in einem bewaldeten Höhenzug verlor. Die Sonne und vom Wind getriebene Wolken zauberten ein Spiel von Licht und Schatten auf die Landschaft.
Johanna zog ein Taschentuch aus ihrem winzigen Pompadour hervor und knüllte es entweder unentwegt zwischen ihren Handflächen oder tupfte sich nervös die Stirn.
Sie waren eine knappe halbe Stunde unterwegs, als der Wagen mit seiner berittenen Eskorte in ein Wäldchen einbog. Nach einer Weile weitete sich der Weg zu einem Platz, auf dem die Equipage zum Stehen kam.
Johanna wusste nicht mehr, wie sie aus dem Wagen gekommen und in wessen Begleitung sie den stark frequentierten Strand erreicht hatte. Sie fand sich am Arm Ludwig von Trebbows wieder, der sie anscheinend nicht zum ersten Mal angesprochen hatte.
„Komtesse Johanna?“
„Bitte?“ Irritiert lockerte Johanna ihre verkrampfte Hand, ohne den Blick von der See abzuwenden. Wasser, nichts als Wasser breitete sich vor ihr aus. Grau, grün, blau schimmernd, je nach Laune des abwechslungsreichen Spiels, das der Wind mit Wolken und Sonne trieb. Gewannen Sonne und blauer Himmel die Oberhand, so waren grün und blau die beherrschenden Farben, um sofort mit einem erhabenen Grau zu tauschen, wenn sich Wolken vor die gleißende Scheibe der Sonne schoben. Aber nicht nur Weite und Farben faszinierten Johanna, es waren der Geruch und die Stimme des Meeres, die sie schier überwältigten. Sie atmete bewusst und genüsslich die würzige Luft ein, die den Geschmack von Salz und Seetang auf ihre Lippen puderte. Sie schloss die Augen, konzentrierte sich. Das wieder und wieder anschwellende Rauschen der Wellen folgte einem eigenen Rhythmus. Der Wind über der See wälzte seine schaumgekrönten Boten mit einem unnachahmlichen Geräusch an den Kieselstrand.
Johanna öffnete die Augen. Ihr Gesicht spiegelte ihre Eindrücke wider: Sie strahlte vor ungekünstelter Begeisterung. „Traumhaft“, hauchte sie, „es ist einfach traumhaft. Es scheint mir, am Ende der Welt zu stehen. Wie hat man nur vermuten können, hinter dem Horizont gäbe es einen neuen Anfang.“
Trebbow war überrascht, er setzte zu einer Erwiderung an, aber Johanna kam ihm zuvor. „Mein Gott, welchen Mut haben Entdecker bewiesen, sich solchen Wellen anzuvertrauen. Immerhin haben sie keinerlei Gewissheit gehabt, jemals die fernen Küsten zu erreichen.“
Die Offiziere warfen sich erstaunte Blicke zu.
„Ah, Sie meinen Christoph Kolumbus und alle, die ihm folgen sollten. Ja, ein solcher Mut ist nicht mit Gold aufzuwiegen, er veränderte die gesamte Weltordnung“, sagte Stetten, im Bemühen Johannas Thema als Gesprächsstoff aufzugreifen.
„Gewiss, ich habe auch an Seniore Kolumbus gedacht. Aber ist es nicht ungleich schwerer, mit einem Einbaum über den Ozean zu paddeln, und ohne Hilfe von Kompass und Sextant exotische Inselreiche zu erforschen?“
„Sie haben Defoe gelesen?“, fragte Stetten ungläubig.
„Er ist einer meiner Lieblingsromanciers. Ich habe sogar das Privileg genossen, die Abenteuer des Herrn Crusoe vor meinen älteren Brüdern lesen zu dürfen“, antwortete Johanna und lächelte. „Besonders meinen Bruder Franz hat es maßlos geärgert.“
„Das kann ich mir gut vorstellen, ich habe das Buch geradezu verschlungen, als ich es mir von meinem Freund Franz von ...“, Stetten hielt plötzlich inne und schaute Johanna einen Moment zweifelnd an. „Du lieber Himmel“, meinte er schließlich, „Sie sind doch nicht etwa die Schwester von dem Franz von Klotz, mit dem ich seit meinem elften Lebensjahr befreundet bin?“
Nun war auch Johanna überrascht. Sie schaute Stetten mit großen Augen an, ihre schüchterne Zurückhaltung dem Manne gegenüber wich offenem Interesse. „Wenn Sie den zweitgeborenen Sohn des Grafen Klotz aus Ludwigslust Ihren Freund nennen, dann bin ich in der Tat dessen Schwester“, stellte sie trocken fest.
„Das ist ja großartig ...“, platzte Stetten begeistert heraus.
„Ja, ja, alles ist großartig, was hier anzutreffen ist “, mischte sich Madame in das Gespräch, die nicht mitbekommen hatte, worum es überhaupt gegangen war. „Ich habe unterdessen Monique ausfindig gemacht und habe demnächst vor, mich auch einmal um mich selbst zu kümmern, soll heißen, mich meiner ersten Behandlung zu unterziehen.“
Dass die Ankündigung ein einziger Vorwurf war, hörte nicht nur Margitta deutlich heraus. Sie senkte verärgert und beschämt den Kopf. Aber
Weitere Kostenlose Bücher