Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
gewöhnt, aber der kometenhafte Aufstieg eines gelernten Advokaten zum Kronprinzen spottet dem Gottesgnadentum einmal mehr. Zwar ist Bernadotte Adoptivsohn des schwedischen Königs und damit Kronprinz von Schweden, bleibt aber vor allen Dingen Franzose. Und was in meinen Augen am schwersten wiegt: Er war Marschall des Kaisers. Sind das nicht zu gegensätzliche Lebensstationen gewesen, um dem Mann den Oberbefehl über eine Armee der verbündeten Monarchen zu überlassen?“
Sein Einwurf weckte Interesse und zog diverse Spekulationen nach sich. Doch Franz kam nicht dazu, seine Meinung zu äußern. Wiederum wurde der Beitrag dankbar aufgegriffen.
„Pah, dass ich nicht lache. Wir haben doch alle bis zum März des bewussten Jahres unsere Abgaben an den Kaiser zahlen müssen! Und nun wollen Sie das den Schweden vorwerfen, die ebenso vor Napoleon katzbuckeln mussten? Schlussendlich hat sich der Schwedenkönig zu einem Bündnis mit Zar Alexander und dem Preußenkönig entschlossen. Darf ich daran erinnern, dass uns in dem Sommer, von dem hier die Rede ist, die braven Schweden vor dem Sturm der Dänen bewahrt haben. Ich will keinesfalls die Verdienste unserer Jäger schmälern, aber es sind zum größten Teil schwedische Soldaten gewesen, die auf dem Feld geblieben oder als Verwundete in unsere Mauern zurückgekarrt worden sind. Ich kann mich noch gut erinnern, wie auch Sie auf der Straße gejubelt haben, kaum dass die Kriegsberichte aus Konow und Retschow eingetroffen sind. Als dann auch noch die Siegesnachrichten aus Berlin bestätigt wurden, feierten hier alle den Kronprinzen als großen Sieger. Die Zeitungen waren voll davon.“ Frau Witte genoss es, als sie sah, wie sie von den anderen Damen angestaunt wurde, doch ihre leidenschaftliche Parteinahme endete damit nicht: „Sie kreiden dem Kronprinzen immer noch an, die Besetzung Hamburgs durch die Dänen unter Davout oder Fürst Eckmühl, wie der Mann heute Abend genannt worden ist, nicht verhindert zu haben. Seien Sie froh, dass der Kronprinz den Eckmühl drüben im Holsteinischen beschäftigt hat. Wir haben doch jeden Tag gebangt und gezittert, wann der Fürst über die Elbe ziehen würde und sein geräumtes Quartier in Schwerin wieder in Besitz nähme. Im Juni ist es so weit gewesen. Haben Sie das vergessen? Außerdem hat der Kronprinz nach dem ersten Misserfolg für entscheidende Siege gesorgt“, triumphierte sie zur Verwunderung der gesamten Tischgesellschaft. Ihrem erstaunten Gatten stand der Mund weit offen. „Ich weiß das so genau, weil mein Vetter bei der Mecklenburger Brigade eine Schwadron reitender Jäger befehligt, die unter dem Kronprinzen gedient hat“, verkündete sie stolz. „Und eines möchte ich noch sagen: Marschall Blücher hat auch einige Stellen in der Biografie, die die heutigen Geschichtsschreiber nur zu gerne schwärzen möchten.“
Frau Witte warf den Kopf hoch und sah mit glänzenden Augen in die Runde. Doch Franz bemerkte am Verhalten der übrigen Gäste, wie das erste Erstaunen in Desinteresse oder in Verlegenheit umschlug. Es schien ihm, als wolle niemand die altbekannten Geschichten wahrhaben. Das war aus Sicht der Rostocker verständlich, die sich jetzt so gern bei allen möglichen Gelegenheiten im Ruhm des größten Sohnes ihrer Stadt sonnten. Da wäre die Erwähnung unglücklich, Blücher habe die Mauern Rostocks bereits im Knabenalter verlassen, habe sie gegen die schöne Landschaft der schwedisch-pommerschen Insel Rügen eingetauscht. Aber auch dort hielt es ihn nicht lange. Mit 16 Jahren soll er sich heimlich als Fähnrich in ein schwedisches Husarenregiment eingeschrieben haben, um ausgerechnet gegen Friedrich II. von Preußen im Siebenjährigen Krieg zu kämpfen. Es folgten preußische Gefangenschaft, Entlassung aus dem schwedischen Dienst und die Werbung des preußischen Militärs, sich doch in die Linien Friedrichs des Großen einzureihen. Dem Lockruf widerstand der junge Blücher nicht und so kämpfte er die letzten drei Jahre des Siebenjährigen Krieges auf der richtigen Seite, wie die Preußen meinten.
Allerdings blieb den Mecklenburgern besagter Krieg in unangenehmer Erinnerung. Zwangsrekrutierungen standen auf der Tagesordnung. Mecklenburg wurde von Preußen besetzt und zu hohen Kriegskontributionen gezwungen, weil der Herzog zu Mecklenburg-Schwerin seine Gelüste auf preußisches Territorium nicht hatte zügeln können und im Glauben, Preußen würde besiegt, sich auf die Seite der preußischen Gegner geschlagen
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