Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
angefangen. Jeden Tag kursierten die allerschlimmsten Gerüchte: Berlin sei zum größten Teil zerstört worden und so weiter. Sogar unser Landesvater hatte sich hinter unsere Mauern zurückgezogen. Wir glaubten, Fürst Eckmühl mache uns den Garaus! Schwerin hatte er ja bereits eingenommen.“
„Ach ja, der Eckmühl! Aber der hatte mir nicht so viel Angst gemacht wie die Tatsache, dass sich unser Herzog nebst Regierung schleunigst aus dem Staub machte, kaum dass Vegesack verlauten ließ, sich vor Rostock verteidigen zu wollen“, empörte sich Frau Witte. Sie wirkte jedoch nicht mehr ängstlich, sondern verärgert.
„Aber, aber, gnädige Frau“, wurde sie väterlich beschwichtigt, Franz glaubte, den Wortführer mit einer Ratsherrenwürde in Verbindung bringen zu können, „die Maßnahme war doch nur politisches Kalkül. Was meinen Sie, wäre passiert, wenn Seine Königliche Hoheit und die Regierung in Gefangenschaft geraten wären. Ein besseres Faustpfand hätte sich Napoleon gar nicht wünschen können. Wo er auf die herzogliche Familie ohnehin nicht gut zu sprechen gewesen war. Außerdem war die Regierung zu ihrem eigenen Schutz aufgelöst worden.“
„Ja und? Trotzdem kamen wir uns furchtbar alleingelassen vor. Wenn ich mich richtig entsinne, ist auch Ihr Schiff mit Familie und Habe beladen und zum Auslaufen bereit gewesen“, konterte die Apothekerin bissig.
„Sie wollen mir doch nicht vorwerfen, alle meine Möglichkeiten genutzt zu haben, meine Familie zu beschützen. Das tat doch jeder, der in der Lage dazu war.“ Der Herr lehnte sich pikiert zurück und trommelte nervös mit den Fingern auf die Tischplatte.
„Das nicht, aber Ihre unverschämten Mitfahrpreise werfe ich Ihnen vor!“
Es herrschte schockierte Stille. Charlotte legte ihre Hand hilfesuchend auf Franz’ Arm. Er musste jedoch nicht schlichten, einige Damen bemühten sich bereits, von dem unpatriotischen Verhalten abzulenken. Sie baten Franz kurzerhand, seine Schilderung aus der Sicht eines Soldaten fortzusetzen.
„Sie haben recht, meine Damen, der August war in der Tat sehr ereignisreich“, bestätigte Franz ungerührt. „Wir erinnern uns. Der Waffenstillstand war abgelaufen. Ich glaube, es war der 23. August, da schlug Oudinot gegen die russisch-preußische Nordarmee unter dem Kronprinzen die Schlacht um Berlin. Oudinots Truppen waren bunt gemischt, setzten sich aus Franzosen, Italienern, Kroaten, Polen und Illyriern zusammen. Und wir dürfen die Mitwirkung der berühmt berüchtigten Division Durutte, die aus Scharen begnadigter Deserteure und Verbrecher bestand, nicht vergessen zu erwähnen. Den Hauptteil dieser französischen Armee bildeten allerdings Deutsche aus Sachsen, Westfalen, Bayern und Würzburg. Der Rheinbund hatte sie zu Vasallen des Kaisers gemacht.“
„An dieser Stelle lassen Sie uns das Glas erheben und auf das Wohl unseres Landesvaters trinken, der den Mut besessen hat, als erster deutscher Fürst den unseligen Bund zu verlassen, obwohl sich Ihr König noch nicht eindeutig positioniert hat!“
Es bekümmerte niemanden am Tisch, dass Professor Pries’ Trinkspruch die Würdigung des Großherzogs zu Mecklenburg-Strelitz ausließ. Franz lächelte wissend und hob sein Glas. Oberst von Tettenborn und seine russischen Kosaken dürften dem Mut des Herzogs zu Mecklenburg-Schwerin gewaltig Auftrieb gegeben haben. Letztendlich hatte er Friedrich Franz die Großherzogswürde eingebracht. Doch Franz war so diplomatisch, die Tatsache als allgemein bekannt unter den Tisch fallen zu lassen. Außerdem war die Entscheidung für einen Herrscher, sich zu diesem Zeitpunkt von Napoleon loszusagen, in der Tat mutig gewesen. Der Ausgang der Freiheitskriege war keinesfalls gewiss. Im Frühjahr 1813 waren Schweden und Österreich noch unsichere Verbündete.
Nachdem das Klingen kristallener Gläser verstummt war, richtete sich aller Aufmerksamkeit auf Franz, der die kurze Unterbrechung nicht nur zum Trinken, sondern auch zum Verzehr des köstlichen Bratens benutzt hatte. Die pikante Mischung aus kräftig gewürztem und gesottenem Schweinefleisch und süßlicher Füllung aus Backpflaumen, Zwiebeln und gedörrten Äpfeln hatte dem Gericht eine außergewöhnlich delikate Note verliehen. Weil Franz immer noch kaute, fühlte sich der Ratsherr mit dem kopierten Blücherbrief auf den Plan gerufen.
„General Bernadotte!“, gabelte er als Stichwort auf. „Wir waren ja von der sagenhaften Karriere des kleinen Korsen bereits allerhand
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