Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
eine feierliche Pause, in der andächtiges Schweigen herrschte. Erst das Erscheinen des Hausmädchens, das erschrocken im Lauf innehielt, kaum dass es die unnatürliche Ruhe am Tisch bemerkte, löste die allgemeine Ergriffenheit. Aller Augen richteten sich nun auf Franz, der sich in der Rolle eines Blücher’schen Kampfgefährten überhaupt nicht gefiel. Aber er hatte damit gerechnet, etwas zum vergangenen Krieg beisteuern zu müssen. Er warf Ernst einen vielsagenden Blick zu, weil er keinerlei Zweifel darüber hegte, wem er die Gesprächsentwicklung zu verdanken habe.
„Ich stimme mit Ihnen völlig überein, mein Herr“, sagte Franz in die gespannte Stille, „was ich Ihnen erzählen kann, bestätigt seine bewundernswerte Bescheidenheit. Ich habe nach der Schlacht bei Leipzig Ähnliches erlebt. Doch Sie sollten sich vergegenwärtigen, ein Feldherr und Oberbefehlshaber einer Armee muss sich vor allen Dingen durch Entschlusskraft und Durchsetzungsvermögen auszeichnen. Bescheidenheit ist eine Tugend, die ihn zusätzlich zieren mag“, beschied Franz die Tafelrunde. Sein Interesse wendete sich dem köstlich duftenden Braten zu. Mit dem Geschmackserlebnis auf der Zunge und einem Blick in besagte Runde musste Franz jedoch feststellen, nicht so einfach davonzukommen. Er spülte den Bissen mit einem Schluck Wein hinunter und fügte sich in seine Rolle:
„Ich diente im Yorck’schen Corps, einer Einheit der Schlesischen Armee, der Blücher als Oberkommandierender vorstand. Ein gutes Drittel der Armee waren Russen, geführt von Graf Langeron. Die Russen sind es auch gewesen, die dem Fürsten den respektvollen Beinamen Marschall Vorwärts verliehen haben, den ich sogar hier in Rostock gehört habe.“
Franz bemerkte nebenbei, wie Ernst zusammenzuckte und auf seinen Braten starrte.
„Aber unserem Marschall wurden noch andere Namen verliehen. ‚Le vieux diable‘ soll ihn Napoleon persönlich genannt haben. Nun, der Kaiser hatte wohl gute Gründe, ihn ‚alten Teufel‘ zu schimpfen, denn seit der Schlacht an der Katzbach saß ihm wirklich der Teufel im Genick, der ihn letztendlich auch zu packen wusste.“
Franz unterbrach sich, weil er meinte, Charlotte hätte etwas auf der Zunge. Und richtig, sie benutzte seine Pause, um eine Frage zu stellen.
„Sagen Sie, Herr Leutnant, Fürst Blücher feiert dieses Jahr im Dezember bereits seinen 74. Geburtstag. Wenn ich mir meinen Vater, meinen Onkel oder auch andere alte Herren, schlohweiß, aber hoch zu Ross und mit blankem Säbel voranstürmend vorstellen sollte, versagte mir die Phantasie.“ Sie schaute kurz zu ihrem Vater hinüber, der noch etliche Jahre, wenn Gott es so wollte, zu absolvieren hatte, um Blüchers jetziges Lebensalter zu erreichen. „Es ist mir schleierhaft, wie der Fürst die Entbehrungen des Krieges in seinem hohen Lebensalter hat meistern können“, fügte sie hinzu.
Frau Witte und auch andere Damen bedachten Charlottes Einwand mit zustimmendem Nicken, meldeten sich jedoch mit Rücksicht auf das Alter ihrer Ehemänner und den alltäglichen Mühen, die damit verbundenen waren, nicht selbst zu Wort.
„Ja, gnädige Frau Doktor, Sie haben mit Ihrem weiblichen Gespür genau den Punkt getroffen, der uns alle, die wir unter Blücher dienten, faszinierte. Der alte Mann – Sie verzeihen, wenn ich ihn so nenne, es ist durchaus nicht despektierlich gemeint – war uns immer und überall Vorbild und Ansporn. Er verstand es, durch persönliche Präsenz und Ansprache die Moral zu heben, Erschöpfung vergessen zu machen und in Begeisterung umzumünzen. Marschall Blücher war, wie schon erwähnt, zu Beginn seiner Kommandoübernahme der Schlesischen Armee bereits über 70 Jahre alt. Wenn er die Entbehrungen und Strapazen auf sich nehmen konnte, so waren wir Jungen erst recht dazu verpflichtet. Ich möchte Ihnen einige Beispiele nennen. Ende August im Jahre 13 traf unsere Armee auf einige französische Bataillone, die jedoch nur einen geringen Teil der Gesamtstärke der feindlichen Truppen ausmachten. Damals war uns das weder bekannt noch bewusst ...“
„Der Monat war wirklich ereignisreich“, warf eine Dame ein, „ich erinnere nur an das viele Militär und noch schlimmer an die vielen Verwundeten, die Ende August bei uns in der Stadt angekommen sind. Das gesamte Wismeraner Lazarett ist zu uns gebracht worden. 40 Wagen Verwundete und das ohne bewaffnete Eskorte! Es graust mich, wenn ich nur daran denke. Dabei hatte der Krieg noch gar nicht richtig
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