Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
und muss Ihnen gestehen, mich bei diesem Anlass daneben benommen zu haben.“
Das Geständnis löste offenkundig Verwunderung aus.
„Nein! Das kann nicht sein“, wandte sie ein.
Franz fiel ihr jedoch ins Wort, um nüchtern festzustellen: „Ich bedauere, Verehrteste, leider ist es so. Kommt er heute Abend noch?“, fragte er vorsichtig.
„Wohl kaum!“ Charlotte lachte ungezwungen. „Und es wird ihm auch in Zukunft außerordentlich schwerfallen, hier aufzutauchen, denn ich habe gar keinen Bruder.“
Franz war verwirrt. Seine Gesellschafter im Dampfbad waren einander sehr ähnlich gewesen. Im Besonderen das fliehende Kinn, das sowohl dem älteren als auch dem jungen Mann mit auf die Welt gegeben worden war, hatte die Ähnlichkeit betont, denn es war das Profil gewesen, das Franz zu der Annahme verleitet hatte, Vater und Sohn vor sich zu haben.
Ein weiteres Detail zuckte Franz durchs Hirn, und ließ ihn an seinem Verstand zweifeln: Charlottes Vater trug einen kurz gehaltenen Kinnbart, der mit den Jahren schlohweiß geworden war, somit nicht mehr den gewünschten Effekt erzielte, den Mangel der Natur etwas abzumildern. Jedoch der ältere Herr im Dampfbad hatte auf derlei Zierde verzichtet und sein vom Wohlstandsspeck gepolstertes Kinn wacker blank rasiert getragen.
Als Franz begriff, einer Verwechslung aufgesessen zu sein, spürte er ungeheure Erleichterung. Eine Sekunde später kam er jedoch zu dem Schluss, die frappierende Ähnlichkeit der beiden älteren Männer müsse doch etwas mit Blutsverwandtschaft zu tun haben.
„Ja, ähm“, begann er von neuem. „Wenn es keinen Bruder gibt, dann vielleicht einen Vetter?“, schlug er vor und zog die Brauen erwartungsvoll in die Höhe.
„Was haben Sie nur angestellt, mein Lieber, dass Sie so beharrlich in den Ästen meines Familienstammbaumes forschen“, fragte Charlotte amüsiert. Inzwischen brachte sie sein Verhalten nicht mehr mit körperlichem Unwohlsein in Verbindung. Allerdings kam es nicht mehr zu der gewünschten Aufklärung. Das rundliche Hausmädchen trat an Charlotte heran und wisperte ihr etwas ins Ohr, dann überreichte es ihr ein Triangel.
Charlotte schlüpfte in die Rolle der würdevollen Gastgeberin, die sie trotz ihrer Jugend überzeugend zu spielen verstand. Mit den Klängen des Triangels verschaffte sie sich Gehör und bat zu Tisch.
Franz beobachtete, wie sich die Gäste auf geheimnisvolle Weise zu Paaren zusammenfanden, die nicht das Band der Ehe zusammenhielt. Nur die Zeit der Abendgesellschaft sollten sie miteinander verbringen. Er bot Charlotte ritterlich den Arm und geleitete sie an der Spitze des Zuges in das Esszimmer, wo eine festlich gedeckte Tafel die Gäste zum Soupieren einlud.
Franz verschaffte sich am Tisch einen Überblick. Erleichterung machte sich breit, als er weder vermeintlichen „Vetter“ noch „Onkel“ seiner Tischdame entdecken konnte. Er machte auch keine unbenutzten Gedecke aus, woraus man auf verspätete Gäste hätte schließen können.
Die Suppe wurde aufgetragen, die, heiß und außerordentlich kräftig im Geschmack, die Damen inspirierte die eine oder andere Vermutungen zu deren Zubereitung anzustellen. So plätscherte die allgemeine und äußerst belanglose Unterhaltung bis zum Hauptgericht dahin. Gerade als Franz den mit Backobst gefüllten Rippenbraten anschneiden wollte, wurde er schräg über den Tisch hinweg von einem Ratsherrn angesprochen.
„Was sagen Sie als Preuße und Kampfgefährte unseres hochverehrten Fürsten Blücher zu dessen geradezu ungeheuerlichen Bescheidenheit. Stellen Sie sich vor, er schrieb tatsächlich in einem Dankesbrief an die Mecklenburger Stände anlässlich übermittelter Glückwünsche zu seinem Geburtstag Folgendes ...“, der Ratsherr zog ein abgegriffenes Stück Papier aus der Brusttasche seines Rockes und faltete es beinahe ehrfürchtig auseinander. Die Gespräche verstummten, weder Bestecke noch Teller klapperten.
„Ich habe mir die betreffenden Zeilen kopiert, damit sie mich immer und überall an die Bescheidenheit des größten Helden unserer Tage erinnern. So hören Sie, was er uns Rostockern zu sagen hat: „Jedoch kann ich nicht umhin, mir die Bemerkung zu erlauben, dass man das Wenige, was ich zu leisten imstande war, zu hoch in Anrechnung bringt, und so geehrt ich mich auch durch das mir zu errichtende Denkmal in meiner Vaterstadt Rostock fühlen muss, doch wohl eigentlich nur der Nachwelt die Entscheidung über das Geschehene gebührte ...“
Es entstand
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