Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
überbracht hat“, erklärte Franz.
„Mein Gott, der Professor war doch noch beim Gottesdienst. Er sah zwar schlecht aus, aber dass er noch am selben Tage sterben würde ... Nein! Das hat man ihm wirklich nicht angesehen“, jammerte die Wirtin. Ihre Bestürzung schien zweierlei Gründe zu haben.
„Ich kann das gar nicht glauben“, ereiferte sich Gribnitz. „Papenhagen erzählte mir gestern, tags zuvor den Professor im Dampfbad getroffen zu haben. Papenhagen war von dem Mann recht angetan, weil er so leutselig und kein bisschen dünkelhaft gewesen sei.“
Franz wurde starr vor Schreck. Unvermittelt hatte er eine Vision von fettig glänzenden Lippen, die genüsslich geräucherten Heilbutt verschlangen. Der Mann neben der elfenbeinfarbenen Dame, der ihm etliche Stunden später als Professor Kägler in Erinnerung geblieben war, hatte auch eine Stirnglatze, nur hatte er in seinem Sonntagsrock ungleich respektabler ausgesehen als in ein Badetuch gewickelt.
„Nein, nein, der Ratschluss des Herrn ist unergründlich“, stellte Mudder Schultzen fest. Unter dem Eindruck des Ablebens des Professors hatte sie offenbar kein Interesse mehr an den neuen Schlössern. Sie machte kehrt und bat ihren Schwager, sie die Treppe hinunterzuführen. „Ich wünsche den Herren noch einen schönen Tag“, murmelte sie zum Abschied.
Franz atmete tief durch, als er die Tür hinter sich schloss. Auch Christian und Ernst wirkten erleichtert, die Wirtin und ihren Anhang endlich losgeworden zu sein. Ernst hielt sich nicht mit langen Vorreden auf, schnappte sich seine Arzttasche und war bereits an der Tür zur Schlafkammer.
„Vorsicht!“, kam von hinten.
Seine Hand, die nach der Klinke gefasst hatte, zuckte erschrocken zurück. Er sah Franz mit großen Augen an, als der ihn hastig von der Tür wegzerrte.
„Entschuldige, aber dein Patient ist mit Vorsicht zu genießen. Schließlich kann er nicht ahnen, wer zu ihm hereinspazieren will“, erklärte Franz. „Lass mich vorweg gehen. Ich sage ihm, dass du ihn untersuchen möchtest.“
„Wie du meinst“, gab Ernst zurück. Er schaute erstaunt zu Christian hinüber, der alarmiert wirkte und ebenso wie Franz in Hab-Acht-Stellung ging.
Franz horchte an der Tür, dann klopfte er höflich an. „Lapérouse! Der Arzt ist da und möchte Sie untersuchen. Ich komme jetzt rein“, sagte er mit gedämpfter Stimme. Er ließ es nicht bei der Ankündigung, sondern trat beherzt ein.
Lapérouse lag auf dem Bett. Er machte wirklich nicht den Eindruck eines widerspenstigen oder gar wehrhaften Patienten. Ernst sah Franz mit einem seltsamen Blick an.
„Ich denke, du kannst mich mit ihm allein lassen“, sagte er würdevoll.
„Kommt nicht in Frage“, gab Franz kategorisch zurück. „Der kann froh sein, dass wir ihn nicht bei der Polizei abliefern. Er wird mich schon nicht wegen Beschneidung seiner Persönlichkeitsrechte belangen“, versuchte er zu scherzen. Er hoffte, Ernst gäbe sich damit zufrieden. In Gegenwart seines Gefangenen wollte er nicht über dessen Gefährlichkeit debattieren.
Ernst drehte Franz wortlos den Rücken zu und untersuchte Lapérouse. „Die Wirtin weiß nicht, dass er in ihrem Haus ist?“, fragte er.
„Nein.“
„Du hast es sicher mitbekommen: Sie schnüffelt in den Zimmern herum, wenn niemand da ist.“
Lapérouses Augen weiteten sich.
„Ja, und ich hätte schwören können, dass sie so etwas nicht tut, so wie Johanns Zimmer ausgesehen hat, als ich angekommen bin. Aber sie hat sich selbst verraten“, gab Franz ärgerlich zu. „Vielleicht untersucht sie nur die Zimmer von säumigen Zahlern, um Erkundigungen über deren Vermögensverhältnisse einzuholen“, spekulierte er.
„Darauf würde ich mich nicht verlassen“, gab Ernst zu bedenken, während er Mundhöhle und Zunge seines Patienten in Augenschein nahm. „Warum führst du ihn nicht als Kameraden bei ihr ein, dem ein Missgeschick passiert ist. Appelliere doch einfach an ihre Hilfsbereitschaft, die sie vorhin so freudig angeboten hat.“
Franz lächelte säuerlich. „Das geht leider nicht“, sagte er, „Er ist einer von den Säumigen und sie ist hinter ihm her wie der Teufel hinter der Seele.“
Lapérouse zuckte. Ernst sog die Atemluft scharf ein.
„Du solltest nicht so plastische Vergleiche wählen, wenn ich mit meinen Instrumenten in der Nähe der Wunden bin“, bat er sich aus.
„Der Leibhaftige jagt ihm gewiss nicht halb so viele Schauer über den Rücken wie Mudder Schultzen“, warf
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