Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
ihn vor neugierigen Blicken zu verbergen. Die Kommode schien am ehesten dazu geeignet.
Zu Franz’ größtem Bedauern blieb keine Zeit, sich mit dem sorgsam verborgenen Ding zu beschäftigen, weil auch noch das Nebenzimmer untersucht werden musste, bevor es schwierig, wenn nicht gar unmöglich werde, ein weiteres Mal dorthinein zu gelangen. Er warf noch einen spekulativen Blick auf die Tür zur Schlafkammer und wieder zurück zur Kommode, entschloss sich dann aber doch zu einem Gang in die Nachbarschaft.
Erneut schlich er auf Strümpfen über den dunklen Flur und musste dabei an Jochen denken. Nun war er in ähnlicher Mission wie der Junge unterwegs, doch er tröstete sich damit, wenigstens Scham bei dem zu empfinden, was er tat.
Im Nebenzimmer richtete er das zerwühlte Bett her. Die Blutflecke auf dem Kopfkissen konnte er nicht entfernen, deshalb drehte er es einfach um und zog die Tagesdecke darüber. Es war nicht zu befürchten, Mudder Schultzen nähme sich in den nächsten Stunden des Zimmers an, wo sie es so lange unbeachtet gelassen hatte.
Prüfend schaute er sich um. Er sah weder die Schreibunterlage noch den Bleistift, geschweige denn beschriebenes Papier. Er wusste genau, sie hatten bei ihrer hastigen Evakuierung nichts weiter als ihren Gefangenen mitgenommen. Lapérouse musste es versteckt haben.
Wieder stand er vor einem wuchtigen Schrank, öffnete ihn und hielt im nächsten Augenblick erschrocken inne, weil die Angeln hässlich quietschten. Er lauschte, doch im Haus ereignete sich nichts Außergewöhnliches, das Quietschen schien unbemerkt geblieben zu sein. Erleichtert durchsuchte er den Schrank, aber außer ein paar Lavendelsäckchen fand sich dort nichts.
Franz überlegte fieberhaft. Lapérouse hatte nicht viel Zeit gehabt, und den größten Teil davon dürfte er mit der Befreiung seiner linken Hand verbracht haben. Franz fühlte nach der Fessel in seiner Tasche, die nicht zerrissen, sondern aufgeknotet worden war. Es hätte ihn auch gewundert, wenn es Lapérouse gelungen wäre, die sorgsam geflochtenen und eingedrehten Stoffstreifen zu zerreißen.
Also sah er unter den Möbeln nach, auf dem Schrank, unter der Matratze, untersuchte den Tisch, ob dort ein Schubfach eingelassen sei. Schließlich zog er den schäbigen Teppich beiseite und wurde endlich fündig. Er klaubte die Blätter nebst Unterlage auf und verließ auf Zehenspitzen den Raum, und zwar gerade noch rechtzeitig, wie er auf dem Flur feststellen musste.
Stimmen wurden laut. Gribnitz forderte eine Art Abnahme seiner Arbeit ein, dabei lobte er sich fortdauernd selbst und machte auf Details aufmerksam, die dem unkundigen Auge entgangen wären.
Franz beeilte sich, in Johanns Wohnung zu gelangen. Seine Stiefel musste er auch noch in Windeseile überstreifen. Bei der üblichen Quälerei mit den Stiefelschäften machte sich Ernüchterung breit. Lapérouse schien tatsächlich nur mit der eigenen Befreiung beschäftigt gewesen zu sein. Er hatte kein Wort mehr notiert.
Die Inaugenscheinnahme der neuen Schlösser erwartete Franz auf dem Flur, damit er sich keinen missbilligenden Blick seiner Wirtin einhandelte. Scheinbar gelassen lehnte er sich über das Brüstungsgeländer, spitzte aber die Ohren, als Gribnitz eine sehr interessante Frage stellte.
„Na Herta, hat Kägler seine Außenstände bei dir beglichen?“
Mudder Schultzen sah ihren Schwager mit einem vernichtenden Blick an. „Ach was soll’s“, meinte sie unter einer wegwerfenden Handbewegung. „Der läuft mir nicht weg, wo der eitle Hahn alle seine geliebten Ausgehröcke bei mir im Schrank hängen hat.“
Sie zuckte zusammen, als sie Franz’ abschätzenden Blick bemerkte.
„Notfalls kann ich seinen Vater in die Pflicht nehmen. Der gut situierte Herr Professor wird es nicht gern hören, wenn sein Sohn mir etwas schuldig bliebe“, meinte sie.
Ernst teilte ihre Zuversicht nicht, im Gegenteil, er machte ein gequältes Gesicht.
„Das Unterfangen dürfte schwierig werden“, warf Franz ein.
„Was soll das heißen“, entrüsteten sich Wirtin und Schwager wie aus einem Munde. Auch Ernst zog überrascht die Brauen hoch.
„Professor Kägler ist am Sonntagnachmittag gestorben. Morgen wird es bestimmt im Anzeigenblatt stehen“, erklärte Franz nüchtern.
Ernst öffnete den Mund, allerdings hatte Franz schneller eine Antwort parat als Ernst seine Frage, woher er davon wisse.
„Ich bin zufällig Zeuge geworden, als ein Diener aus dem Hause Kägler die Todesnachricht
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