Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Franz verächtlich ein. „Wie steht es überhaupt um ihn. Vorhin tat er so, als schlüge er gleich vor Schwäche hin.“
Ernst wurde hellhörig. „Wann und in welchem Zusammenhang“, fragte er schnell.
„Wir mussten ihn vom Nachbarzimmer hierher umquartieren. Ich konnte doch nicht ahnen, dass die Wirtin mit Verstärkung auftaucht und ihr Haus richten lässt.“
„Du übertreibst maßlos“, rügte Ernst. „Und Lapérouse? Welche Symptome zeigte er?“
„Er war schweißgebadet, konnte kaum laufen und torkelte bedenklich. Als ich seine Stirn berührte, fühlte es sich allerdings nicht heiß an“, zählte Franz auf.
Ernst schaute forschend seinen Patienten an, befühlte Stirn und Hals und suchte nach dem Puls.
„Hat er etwas zu sich genommen?“, fragte er, seine Anamnese fortsetzend.
„Nur Weißbrot und Milch, aber nur sehr wenig“, sagte Franz. „Ich frage mich, was du ohne meine Hilfe aus deinem Sorgenkind herausbekommen hättest“, stichelte er, um sich sofort einen verwarnenden Blick einzuhandeln.
„War er auf dem Topf?“
„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“
„Mein voller Ernst“, erwiderte Ernst ungerührt.
Franz zog resigniert den Mund breit. „Ich weiß es nicht“, musste er eingestehen. „Soll ich nachsehen?“ Die Frage war nicht ehrlich gemeint, doch Ernst nickte gnadenlos.
Franz schalt sich für seine Nachlässigkeit, nicht in das Nachtgeschirr geschaut zu haben. Doch er glaubte nicht, Lapérouse sei wirklich so kaltblütig gewesen und habe auf dem eher winzigen Topf seelenruhig ein großes Geschäft verrichtet, wo er jeden Augenblick damit hatte rechnen müssen, ungebetenen Besuch zu erhalten. Außerdem konnte Franz sich nicht erinnern, etwas gerochen zu haben. Selbstverständlich fragte er sich besorgt, ob sein Geruchssinn unter der Schwellung gelitten haben könnte. Er gab Christian Bescheid, an seiner statt für Ernsts Sicherheit zu sorgen.
Kaum war er ins Nachbarzimmer geschlüpft, sog er prüfend die Luft ein und schnüffelte wie ein Hund. Er war zufrieden mit der Geruchsprobe, näherte sich jedoch vorsichtig dem Nachttopf, der unter dem Bett stand. Äußerst erleichtert darüber, nicht auch noch vor das Problem der Entsorgung eines übel riechenden Inhalts gestellt worden zu sein, schob er den leeren Topf zurück.
„Alles in Ordnung“, meldete er kurz darauf bei Ernst.
„Für dich oder für ihn?“
Die Frage des Arztes verblüffte Franz zunächst, dann gestand er grinsend ein: „Für mich!“
Ernst war inzwischen dabei, die Bauchdecke seines Patienten zu betasten.
„Sie müssen sich erleichtern“, belehrte er Lapérouse. „Dazu lassen wir Sie allein, doch wenn Sie keinen Erfolg haben sollten, muss ich ein Klistier verabreichen.“
„Uns bleibt auch nichts erspart“, stöhnte Franz unwillig.
„Hör auf, dich laufend zu beschweren. Du hast ihn doch angeschleppt, nun müssen wir uns auch um ihn kümmern“, räsonierte Ernst. Er schob Franz aus der Schlafkammer und ließ seinen Patienten mit der eindringlichen Mahnung zurück, sich nur auf das unmittelbar Bevorstehende zu konzentrieren.
Kaum waren die drei Männer unter sich, klopfte es. Sie fuhren auf und fragten sich gegenseitig, allerdings nur durch beredte Blicke, wer abermals stören könnte. Franz hob ratlos die Schultern, riss die klemmende Tür auf und sah sich einem Lehrburschen gegenüber. Der Junge roch nach der Glut einer Esse und verbranntem Horn. Er fuhr augenblicklich zurück, als er Franz’ entstelltes Antlitz zu Gesicht bekam.
„Herrje, Sie können einen aber auch erschrecken“, brachte er statt eines Grußes hervor.
„Ich wünsche dir auch einen guten Tag, mein Junge“, entgegnete Franz spitz. „Du möchtest uns gewiss die frohe Kunde bringen, dass die Pferde fertig beschlagen sind oder irre ich.“ Sein Tonfall klang gereizt.
„Nein, Herr Leutnant! Ich meine, ja, Herr Leutnant. Die Pferde sind fertig und mein Meister lässt ausrichten, die Tiere stehen im Herrenstall zur Weitereise bereit“, versicherte der Junge hastig unter mehrfachen Verbeugungen. Er reichte Franz mit eingezogenem Kopf den Liquidationsbeleg und bat schüchtern um Begleichung. Franz nahm das Papier und tat so, als ob er es einer eingehenden Prüfung unterziehe.
„Soso, vier neue Eisen bei einem der drei Tiere“, stellte er stirnrunzelnd fest. „Waren die alten tatsächlich so schlecht?“
Der Junge straffte sich. „So wahr ich hier stehe“, sagte er und warf sich in die Brust, „Meister
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