Weiße Nächte, weites Land
nickte. »Zeugen habt ihr genug, die bestätigen können, dass ihr niemals eine Ehe geführt habt.«
»Ja, unsere Ehe hat niemals existiert, und ich bin sicher, Ihrer Majestät ist es einerlei, ob zwei wie wir noch miteinander verbandelt sind oder nicht.« Sie lächelte. »Ich will auch als alleinstehende Frau dazu beitragen, der Zarin das zurückzuzahlen, was sie uns überlassen hat. Als Apothekerin bieten sich mir dazu bessere Möglichkeiten denn als Bäuerin. Das verstehst du doch, oder?«
Eleonora nickte. »Ja, ich verstehe das, Anja. Ich verspreche dir, mit Franz zu reden.«
Die meisten Kolonisten versammelten sich am Ortsrand, um der Gruppe Lebwohl zu sagen und zu winken, als nun Bernhard das Kommando zum Losreiten gab. Gemächlich fielen die Ponys in ihren Trott und ließen sich auch nicht beirren, wenn die Reiter ihnen die Sporen gaben. Noch war die Hitze zu drückend, als dass den Tieren der Sinn nach übermäßiger Anstrengung stand. Das Steppengras wogte um die Reiter, die gleißende Sonne ließ die Luft um sie flirren, so dass sie den Zurückgebliebenen nach einiger Zeit wie eine Fata Morgana am Horizont erschienen.
Eleonora schickte ein Gebet zum Himmel, die Männer mögen unversehrt und bald wieder heimkehren. Anja gönnte sie das Glück, ihren Lebenstraum zu verwirklichen, von ganzem Herzen. Was für ein Segen für die junge Frau, dass sie in Bernhard einen starken Verbündeten hatte. Es waren nur wenige Besuche und Gespräche nötig, bis er Anja zu den Herrnhuter Brüdern vermitteln konnte. Der dortige Apotheker Heinrich Wiederhold hatte sich zwar, wie Bernhard feixend erzählte, zunächst mit Händen und Füßen gegen eine weibliche Unterstützung in seinem neu gegründeten Apothekerladen gewehrt, aber Bernhard hatte ihm Anja in den höchsten Tönen angepriesen und ihm versichert, dass er weit und breit keinen zuverlässigeren und lernfreudigeren Helfer, der zudem vortreffliche Vorkenntnisse habe, finden würde.
Eleonora war dabei, als Bernhard Anja die frohe Kunde überbrachte. Seine Augen hatten erwartungsvoll geglitzert, doch wenn er annahm, Anja würde ihm um den Hals fallen, dann sah er sich getäuscht. Sie lächelte zwar, dankte ihm aber nur mit freundlichen Worten. Dabei kannte Eleonora die Blicke, die die Apothekerstochter Bernhard zuwarf, wann immer er sich unbeobachtet wähnte, sie hörte ihre Stimme, die wie das Schnurren einer Katze klang, wann immer Anja das Wort an Bernhard richtete, und sie glaubte, dass diese, ohne zu zögern, ihren Traum, Apothekerin zu sein, gegen eine Ehe mit Bernhard eingetauscht hätte.
Anja liebte den Vorsteher der Kolonie. Ob der das überhaupt ahnte? Manchmal erschien Eleonora Bernhard wie ein Mann, der gern Mönch geworden wäre.
»Mama! Mama! Aua!«
Eleonora schrak zusammen, als sie hinter sich die Stimme ihrer Tochter hörte. Mit vor Weinen verzerrtem Gesicht lief Sophia in ihren Bastschuhen auf sie zu. Sie hielt die Hand hoch. Vom Ringfinger tropfte Blut.
Eleonora ging in die Hocke, um sie in die Arme zu nehmen, während die anderen Kolonisten allmählich wieder zu ihren Hütten schlenderten.
Sophia schluchzte und spreizte den Finger ab, an dem ein Rinnsal Blut hinablief. Zwei tiefe Abdrücke erkannte Eleonora in der Haut. »Was ist passiert, Püppchen?«
»Alexandra hat mich wieder gebissen. Ich hab’ ihr gar nichts getan! Wirklich nicht! Sie hat sich angeschlichen und mich in den Finger gebissen. Ganz fest. Siehst du?«
»Komm, wir gehen zurück in die Kinderstube und suchen ein Stück Leinen, um es drumzubinden.« Und dann werde ich mal ein Wort mit Veronica sprechen, nahm sich Eleonora vor. So viele Kinder betreute sie nun nicht, dass so etwas passieren durfte. Es war bekannt, dass die knapp zweijährige Alexandra eine besondere Boshaftigkeit an den Tag legen konnte und auch anderen Kindern schon Blessuren beigebracht hatte. Mal schlug sie aus dem Nichts heraus mit einem Stein auf den Kopf eines anderen Kindes, mal biss sie zu, mal zog sie an den Haaren eines Spielgefährten und riss ganze Büschel aus.
Dass sich Kinder nicht immer friedfertig verhielten, dass es Streitigkeiten und harmlose Kämpfe gab, wusste Eleonora genauso wie die anderen Mütter und Väter. Aber dass Alexandra gar keine Grenze zu kennen schien, wenn es darum ging, anderen Schmerz zuzufügen – das war etwas, was man auf jeden Fall unterbinden musste. Notfalls mit drastischen Strafen, da war sich Eleonora mit den anderen einig.
Veronica entschuldigte sich
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