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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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erstaunlich schnell gelernt hast.« Er zwinkerte ihr zu. »Die beiden sind Landsleute von dir.«
    Christina schürzte die Lippen. Nach anderen Landsleuten als der Zarin stand ihr gar nicht der Sinn, aber sie hakte sich willig bei Nikolaj ein und ließ sich an den Reihen der Gäste vorbei bis zu einer Terrassentür führen, die trotz der winterlichen Kühle weit geöffnet war.
    Nikolaj legte ihr die Hand sanft auf den Rücken, als sie vor einem äußerst geschmackvoll mit einem taubenblauen, seidenen und reich bestickten Justaucorps bekleideten Herrn und einer Dame im dunkelroten, tief dekolletierten Seidenkleid stehen blieben. Den Kopf des Mannes bedeckte eine perfekt frisierte gepuderte Perücke, die einen seltsamen Kontrast zu seinem faltenlosen jugendlichen Gesicht bildete, an den Beinen schimmerten unter der Kniehose weiße Seidenstrümpfe, die Füße steckten in blitzend polierten Schnallenschuhen. Die Frau hatte ihre Haare zu einem Kunstwerk mit unzähligen Perlen und Ketten aufgesteckt und arrangiert. An ihrem Hals trug sie nur ein winziges Herz an einer Goldkette. Ein stilvoll herausgeputztes Paar, das Aufsehen erregte.
    »Christina, ich möchte dir gerne André Haber und seine Schwester Felicitas vorstellen. Die beiden sind ganz besonders teure Freunde von Mascha und mir, nicht nur, weil man in keinem Geschäft von Petersburg bessere Seide bekommt als in ihrem direkt am Newski-Prospekt. André, Felicitas, dies ist Christina Lorenz, eine liebe Freundin aus Hessen, die zu Besuch weilt.«
    »Oh, welch ein Vergnügen – eine Landsmännin aus Hessen!« André zeigte beim Lächeln blitzend weiße Zähne, wobei der Hochmut aus seinem Gesicht schwand. Seine Schwester neigte nur mit einem angedeuteten Lächeln den Kopf, während er sich über Christinas Hand beugte.
    Christina musterte die beiden, die sie für ein Paar gehalten hatte. Ihre Gedanken glichen aufgescheuchten Vögeln, während sich eine Anspannung in ihr ausbreitete, die sie sich nicht erklären konnte. Der Mann war attraktiv, zweifellos, aber keiner, der das Herz höherschlagen ließ. Jedoch war er, wenn er mit seiner Schwester zum Ball erschien, möglicherweise alleinstehend, und er war ein bedeutender Händler in Petersburg.
    Christina verstärkte ihr etwas unsicheres Lächeln zu einem Strahlen und bemerkte zufrieden, wie ein Glitzern in die Augen des Deutschen trat.
    »Ihr betreibt ein Seidengeschäft, Monsieur Haber? Wie beneidenswert! Ich stelle es mir wundervoll vor, mit diesen herrlichen Stoffen zu arbeiten.«
    »Wundervoll wird es vor allem, wenn Aufträge eingehen«, erwiderte an Andrés Stelle Felicitas und kräuselte die Lippen.
    Nikolaj neben Christina lachte auf. »Nun, über mangelnde Kundschaft könnt ihr beiden euch doch nicht beklagen! Ich empfehle eure prachtvollen Tücher und edlen Strümpfe all meinen Bekannten und Freunden.«
    Felicitas lächelte ihm zu, während André seinen Blick nicht von Christina reißen konnte. »Das wissen wir sehr zu schätzen, lieber Nikolaj. Wir bemühen uns seit Jahren, den herausragenden Ruf und die hochwertige Qualität unserer Produkte zu bewahren. Wir fühlen uns dem Erbe unseres Vaters verpflichtet.«
    »Also ein Familienunternehmen, Mademoiselle Haber?«, fragte Christina.
    »Ein Traditionshandelshaus«, präzisierte Felicitas Haber. »Unser Vater hat das Geschäft von seinem Vater übernommen. Über die Generationen hinweg konnten wir glücklicherweise unsere Handelsbeziehungen bis weit über Petersburgs Grenzen hinaus ausbauen.«
    »Aber unsere vornehmste Kundschaft kommt freilich vom Zarenhof«, flüsterte André Christina mit einem verschwörerischen Blinzeln zu, während er sich leicht zu ihr beugte. Seine Perücke verströmte einen zarten Duft nach Rosenwasser, sein Atem roch frisch nach Minze.
    »Woher bezieht Ihr denn die Seide? Sicher aus dem eigenen Land, oder?«, erkundigte sich Christina und nahm dankend das Glas Champagner mit zwei Fingern am Stiel, nachdem Nikolaj einem vorbeieilenden Lakaien ein Zeichen gegeben hatte.
    »Zum Teil.« Wieder war es Felicitas, die an Andrés Stelle antwortete. Christina erkannte, dass sie offenbar diejenige war, die die Fäden im Geschäft in den Händen hielt. »Den größten Teil beziehen wir aus Italien, aus China, der Türkei und Persien. Aber auch aus Moskau und Saratow kommt hervorragende Ware, die sich durch ihre Festigkeit und Farbbeständigkeit auszeichnet.« Sie war mit Leib und Seele Händlerin, erkannte Christina, während ihr Bruder

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