Weiße Nächte, weites Land
versüßte wie ihr, versetzte sie in eine seelische Hochstimmung, die dem körperlichen Hochgefühl durch seine Zärtlichkeiten kaum nachstand.
Wer hätte ihr das zugetraut, damals, als sie in dem Erdloch an der Wolga überwinterte, dass sie sich einst mit der mächtigsten Frau der Welt den Liebhaber teilen würde.
Christina empfand es als Beruhigung, dass ihr Nikolaj in Herzenskühle nicht nachstand. Die Liebe zu genießen bedeutete für ihn genauso wenig wie für sie, gleichzeitig den Verstand zu verlieren. Sie behandelten sich mit gegenseitiger Achtung und Wertschätzung, aber dass aus ihnen beiden je ein richtiges Liebespaar werden würde, schlossen sie aus, ohne sich je abgesprochen zu haben.
Christina genoss die Stunden mit ihm, solange sie ihr Freude bereiteten, und wusste, dass sie die Beziehung irgendwann leichten Herzens beenden würde. Als spendierfreudiger Gastgeber war ihr Nikolaj allemal wichtiger denn als erfahrener Liebhaber.
Einmal hatte er ihr die Augen mit einem seidenen Schal verbunden und sie nackt vor den mannshohen Spiegel in seinem Schlafgemach geführt. Er hatte das Tuch abgestreift, sich hinter sie gestellt und ihr vorgeführt, wie seine feingliedrigen Hände ihre Taille umfassten, hinaufwanderten zu ihren Brüsten und hinab zu ihren Schenkeln, um sie mit zartem Griff zu teilen und ihr vor den eigenen Augen höchste Lust zu bereiten. Aber Christina hatte vor allem gesehen, wie sich ihr Körper verändert hatte seit damals, als sie im Weber-Haus vor dem Spiegel posiert und sich an ihrer Schönheit erfreut hatte.
Die Brüste waren zwar noch stramm mit ihren rosa aufgerichteten Spitzen, aber sie hingen tiefer als damals. Die Hüften waren breiter geworden, die Haut am Bauch lockerer – die Schwangerschaft hatte ihre Spuren hinterlassen.
Obwohl ihr Anblick den Mann hinter ihr in höchste Erregung versetzte, wie sie deutlich an ihren Pobacken fühlte, verdarb das Spiegelbild ihr die Stimmung.
Es war einer der wenigen Momente gewesen, in denen Christina gespürt hatte, dass das Uhrwerk lief und lief und dass die Zeit nicht zu ihren Gunsten arbeitete.
Ihr größtes Kapital war von jeher ihre Schönheit, aber die war ein vergängliches Gut, und sie musste alles daransetzen, den größtmöglichen Nutzen aus ihr zu ziehen, bevor es zu spät war.
Auf Nikolaj konnte sie nicht setzen – der ließ sich nicht anbinden und würde in den nächsten Jahren seinem Ruf als hervorragender Liebhaber weiter Ehre machen.
Nein, sie brauchte jemanden mit einer solideren Einstellung. Ein Langweiler im Bett durfte er sein, wenn er nur über den nötigen materiellen Hintergrund verfügte. Vielleicht der einzige Sprössling und Erbe eines Fabrikanten, vielleicht ein einsamer Beamter am Zarenhof …
Christina wusste, dass sie es sofort erkennen würde, wenn ihr der Mann begegnete, der ihr das Fundament für eine Karriere in Sankt Petersburg bieten konnte. Sie würde das Glück nicht fahren lassen, sondern zupacken und niemals mehr wieder loslassen.
Mascha hatte inzwischen Christinas Haare zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt und sie mit silbernen Spangen und Perlen reich verziert. Christinas feingeschwungener Nacken, die Linie von ihrem Hals zu ihren Schultern, kam auf diese Weise perfekt zur Geltung. Als Mascha ihr ein rubinrot funkelndes Collier anlegte, das einen glanzvollen Kontrast zu der silbern bestickten cremeweißen Robe aus Atlasseide bildete, schnappte Christina nach Luft. »Mascha, du übertreibst … Das kann ich doch nicht tragen! Es gehört dir.«
»An diesem Abend gehört es dir, Täubchen«, erwiderte Nikolajs Schwester und drückte ihr einen zarten Kuss in den Nacken.
»Ich werde die Zarin in den Schatten stellen.« Christina schlug die Hand vor den Mund und gluckste.
Mascha stimmte in ihr Kichern ein. »Keine Sorge, Christina, das ist bisher noch keiner gelungen.«
»Ich bin so aufgeregt«, gestand Christina. »Meinst du wirklich, ich bin schon bereit für ein festliches Bankett am Zarenhof?«
»Unbedingt«, erwiderte Mascha, nun wieder ernst. »Die Zarin wird begeistert sein, dich kennenzulernen. Aber denk daran, Christina: Bring das Thema nicht auf die Kolonien, sollte sie dich in ein Gespräch verwickeln! Bleib einfach bei der Geschichte, die wir bisher allen erzählt haben: dass du auf unbestimmte Zeit aus Hessen zu Besuch bist.«
Obwohl Christina mittlerweile mehrere Festlichkeiten erlebt hatte, war es ihr bislang noch nicht vergönnt gewesen, die Zarin zu treffen. An
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