Weiße Nächte, weites Land
nicht mein leibliches Kind ist und dass unsere Ehe niemals vollzogen wurde. Ist das nicht wunderbar, Eleonora? Wollen wir morgen heiraten?«
Eleonora lachte auf und schlang die Arme um seinen Hals. Ihre Lippen trafen sich in einem langen Kuss, in dem all ihr Glück mitschwang. »Ich freue mich, Matthias. Für uns und für unser Kind.«
Matthias legte eine Hand auf ihren Leib und streichelte darüber.
»Was schreibt sie sonst noch? Wie kommt es zu dem Sinneswandel? Wie geht es ihr?«
»Nun, die Details wird sie dir in dem Brief erzählen, der an dich adressiert ist und den ich selbstverständlich nicht geöffnet habe. In dem Schreiben an mich hat sie nur mitgeteilt, dass sie beabsichtigt, sich zu vermählen.« Er stieß ein spöttisches Lachen aus. »Hab’ ich es dir nicht gesagt? Wenn sie für sich einen Vorteil sieht, wird sie zu ihrem Fehltritt stehen. Nur für uns hätte sie das niemals getan …«
Eleonora wandte sich ab und setzte sich an den Tisch, auf den sie zwei duftende, dampfende Becher mit Kräutertee gestellt hatte. Matthias begann, sich aus seinen Winterkleidern zu schälen, und breitete sie zum Trocknen auf die gemauerte Bank neben dem Ofen, der vor sich hin bullerte.
»Du siehst Christina in einem zu üblen Licht«, murmelte sie, während sie sich die Hände an dem Becher wärmte. »Sie hat eine andere Vorstellung von Glück als wir. Das ist alles …«
»Nein, das ist nicht alles. Sie hat nicht nur eine andere Vorstellung, sie geht über Leichen, um ihre Wünsche durchzusetzen. Und sie hat ihr Kind zurückgelassen.«
Eleonora biss sich auf die Unterlippe. Dies war tatsächlich der Punkt, den auch sie Christina nicht verzeihen konnte. Aber alles andere … Sollte sie doch in Petersburg glücklich werden, wenn ihr das Leben in der Kolonie so verhasst war! Eleonora jedenfalls wünschte ihr, dass sich ihre Träume erfüllten. Obwohl sie die Mittel und Wege, die dahin führten, in Frage stellte.
Der Briefverkehr zwischen Petersburg und Saratow lief in einer Schnelligkeit ab, die Eleonora nicht für möglich gehalten hatte. Sie wusste doch, wie weit die Wege im russischen Reich waren! Aber Matthias hatte ihr erklärt, dass die Beziehungen ihrer Schwester zum Zarenhof ihr einige Annehmlichkeiten einbrachten. Der Bote der Zarin durfte sich Trödeleien nicht erlauben. Eleonora erstarrte schier in Ehrfurcht davor, dass ein Bediensteter der Zarin ihre Briefe beförderte. Und sie genoss den Umstand, dass sie über alle Entwicklungen in Petersburg bestens informiert wurde. Nicht nur durch ihre Schwester, sondern auch durch Mascha, die den ersten Brief, den Eleonora nach Christinas Flucht Richtung Sankt Petersburg zögerlich an sie verfasst hatte, mit einer seitenlangen Nachricht voller Herzenswärme beantwortet hatte.
Christina hatte ihr geschrieben, wie liebevoll Nikolaj und Mascha sie unter ihre Fittiche genommen hatten. Sie schrieb aber auch, was sie sich ersehnte: einen Mann, der ihr ein Leben in den besten Kreisen von Petersburg ermöglichte, und dass sie dafür so manche Unannehmlichkeit in Kauf nehmen würde. Selbst wenn er gebrechlich wäre, solange er über genügend Einfluss und Geld verfügt, werde ich ihn mir sichern – niemals mehr wieder, Eleonora, niemals mehr wieder werde ich Hunger leiden oder Weizen dreschen. Das schwöre ich dir bei unserer Mutter.
Hatte Eleonora bei diesen Worten bereits gestutzt, so runzelte sie nun die Stirn, und ein Schatten fiel über ihr Gesicht, als sie sich in die neueste Nachricht aus Petersburg vertiefte. Christina schrieb von einem Deutschen, der einen herausragenden Ruf im Petersburger Seidenhandel genoss, und sie fügte hinzu, dass es keine vier Wochen gedauert habe, bis er Wachs in ihren Händen war. Ein Frösteln durchlief Eleonora, als sie die Worte ihrer Schwester las. So berechnend und rücksichtslos Christina auch vorging, sie glaubte fest daran, dass ihr Eleonora Beifall spenden würde. Darauf, dass sich die Schwester von ihrem Verhalten angewidert fühlen könnte, schien sie nicht zu kommen.
… Er ist nicht besonders helle, musst du wissen, aber das ist genau das, was ich brauche, du verstehst? Sein Reichtum erscheint mir unermesslich, und er hat eine recht geschickte Hand im Umgang mit Kunden. Alles, was das Geschäftemachen betrifft, obliegt aber seiner Schwester, einer eingebildeten Schnepfe, wie du sie dir schlimmer gar nicht vorstellen kannst. Aber André frisst mir aus der Hand und winselt um Aufmerksamkeit wie ein
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