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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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dir einen Gefallen tun wollte«, fuhr er fort, »wären meine Hände gebunden. Du wirst es nicht glauben, aber …« Er trat näher an sie heran. Sein Atem roch faulig nach Kohl. »Ich habe bereits eine Braut. Und zwar die Schönste, die es in Hessen gibt – die Allerschönste von allen.«
    Sie presste die Hände auf die Ohren, kniff die Augen zusammen. Genug, es war genug … Ihr Herz dröhnte, und das Dröhnen stieg ihr in den Schädel, bis es sich anfühlte, als wollte er zerplatzen. Sie setzte sich in Bewegung, vermeinte zu laufen, merkte aber, dass es nur ein Taumeln war, ein Stolpern. Sie floh von dem Hof und hörte nicht mehr, was der Knecht ihr noch hinterherrief.
    Nur weg, weg von hier und die Schmach vergessen!
    Was hätte sie darum gegeben, die Zeit zurückzudrehen oder in einem Bodenspalt zu versinken, wenn sich die Erde gnädig vor ihr auftäte.
    Sie lief und lief. Der Wind kühlte ihr feuchtes Gesicht. Sie wischte die Tränen weg, verlangsamte den Schritt und drückte das Kreuz durch.
    Sie war sich so sicher gewesen, dass sich Franz Lorenz auf den Handel einlassen würde, hatte all ihre Pläne auf dieses Abkommen gebaut.
    Ein anderes Mannsbild wollte ihr nicht einfallen – und selbst wenn: Ein zweites Mal würde sie sich eine solche Schande nicht antun.
    Was bedeutete dies nun?
    Konnte sie ihren Traum, in Russland ein neues Leben zu beginnen, begraben? Bloß das nicht!
    Wie sie ihn hasste.
    Sein grinsendes Gesicht, als er so tat, als hätte er sie nicht richtig verstanden.
    Seine grausamen, schonungslosen Worte, die er ohne jedes Mitgefühl, ohne jede Rücksicht herausgepoltert hatte.
    Ihr Lebtag lang würde sie diesen Schmerz nicht vergessen.
    Aufstiebende Rachegedanken überwältigten sie und ließen sie nach Luft japsen.
    Er würde nicht so leicht davonkommen, der Franz.
    So sprang man mit einer Anja Eyring nicht um.
    Dafür würde er büßen.
    Irgendwann.
    Und er würde nicht weniger leiden als sie in dieser Stunde.

8. Kapitel
    D er liebe Gott wollte mir gewiss ein Zeichen geben«, sagte Klara.
    Eleonora schlug das Leinenlaken an zwei Ecken übereinander. Auch die Schwester hielt zwei Zipfel des Tuchs, so dass sie es bequem falten konnten.
    Das Wetter war für Ende Februar ungewöhnlich mild. Die Sonne gleißte am blassblauen Himmel, eine milde Brise zog übers Land – die besten Voraussetzungen, um die Wäsche zu trocknen. Vor der Abreise wollte Eleonora den gesamten Hausstand, den sie mitzunehmen gedachten, waschen und plätten, schrubben und polieren.
    Zwischen den Wäschestapeln lagerte Eleonora ihre Bücher. Natürlich nur die liebsten, um sich nicht unnötig Ballast aufzuhalsen, aber ganz auf den Lesestoff zu verzichten, das brachte Eleonora nicht übers Herz.
    Christina hielt das alles für Kleinkrämerei, da sie von dem kaiserlichen Kredit den Hausstand komplett neu anschaffen konnten. Doch Eleonora setzte sich durch, obwohl sie den Karren, den sie beim Stellmacher – dieser Tage der bestbeschäftigte Handwerker im Dorf – in Auftrag gegeben hatten, bis weit über den Rand hinaus beladen mussten.
    Eleonora machte auf der grünbraunen Wiese vor dem Weber-Haus zwei Schritte auf Klara zu, damit sie deren gefaltetes Ende übernehmen und das Laken mit geübten Griffen zu einem Paket zusammenlegen konnte. »Was meinst du damit, Klara? Womit wollte der Herrgott dir ein Zeichen geben?«
    Die Sommersprossen traten ob der Blässe in Klaras Gesicht hervor wie winzige Muttermale. »Na ja, mit dieser Begegnung im Wald, weißt du. Ich denke, der Herrgott wollte mir zeigen: ›Wenn du hierbleibst, wird es dir schlecht ergehen. Dies ist nicht mehr die Heimat deiner Mutter.‹«
    Eleonora legte das gefaltete Laken auf den Stapel auf der Holzbank und zog die Schwester in die Arme. Über ihren Kopf hinweg sah sie, dass Sophia in der Holzkiste spielte, in die sie zwei Schaufeln Sand gefüllt hatte. »Das darfst du nicht denken, Klara. So grausam ist der Herrgott nicht.«
    »Ich glaube doch«, beharrte Klara. »Ich könnte hier nicht mehr glücklich sein. Niemals mehr wieder würde ich mich in den Wald trauen. Nein, hier mag ich nicht länger sein. Ich glaube, Mutter hätte am Ende gewollt, dass wir diesen Weg gehen.«
    Eleonora schwieg und küsste die Schwester auf den Scheitel, bevor sie das nächste Tuch von der Leine nahm und zwei Enden Klara in die Hände drückte. »Unglück kann dir jederzeit an jedem Ort widerfahren, Klara. Aber ich freue mich, dass du dich nicht länger sträubst und bereit

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