Weiße Nächte, weites Land
betonte jedes einzelne Wort.
»Nun ja, im Gegenzug könntest du auch mir helfen. Eine Hand wäscht die andere sozusagen.« Sie schluckte. Nun musste sie zum Kern ihres Anliegens kommen – der schwierigste Part dieser Unterredung, eindeutig. Sie hob das Kinn. »Also, dich wollen die Russen möglicherweise nicht, weil sie sich keinen Leichtfuß ins Land holen wollen. Und mich wollen sie nicht, weil sie sich von mir als alleinstehender Frau keinen Nutzen versprechen. Wenn wir uns nun zusammentäten, du und ich, uns vermählen würden, wären wir beide unsere Sorge mit einem Schlag los. Wir wären ein ehrbares Ehepaar, dem jeder glaubt, dass es schon bald eine Familie gründen und sesshaft werden will, wie es sich die russische Zarin wünscht. Unserem Neubeginn stünde nichts im Weg. Selbstverständlich würden wir die Fassade nur so lange aufrechterhalten, bis wir russischen Boden unter den Füßen haben. Sobald die Dinge geregelt sind, lassen wir uns scheiden, und jeder geht seine eigenen Wege. Für dich springt dabei nicht nur der Anteil an dem Besitz heraus, der mir als deiner Frau zusteht, sondern auch noch meine Mitgift, die in deinen Händen verbleibt.« Sie griff zu dem Lederbeutel und klimperte mit den Münzen. »Das sind zehn Gulden, die wir zusätzlich zu dem Handgeld für uns haben. Du kannst frei darüber verfügen, wenn du auf meinen Vorschlag eingehst.« Immer schneller waren die Worte aus ihr herausgesprudelt, während sie gleichzeitig in Franz’ Miene zu lesen versuchte. Sein Ausdruck wechselte von Überraschung zu Unverständnis. »Ich weiß, Franz, mein Vorschlag kommt für dich wie der Blitz vom Himmel herunter. Du brauchst mir nicht hier und jetzt eine Antwort zu geben. Denk in aller Ruhe über meinen Vorschlag nach und sag mir, wie du entschieden hast! Wenn es nach mir geht, könnten wir uns bereits am Wochenende in der Büdinger Kirche trauen lassen und uns dem Treck, der Mitte nächster Woche losziehen soll, anschließen. Es liegt alles an dir, Franz.«
Anja stieß die Luft aus, ihre Schultern sackten nach vorn. Sie blickte in Franz’ Gesicht, doch der fuhr sich mit der flachen Hand über Augen und Mund. Ihr Puls hämmerte, während sie auf seine Reaktion wartete.
Die Sekunden dehnten sich zu Ewigkeiten. Irgendwo bellte ein Hund. Die Sonne versank als blasse Scheibe hinter dem Wald, der die Äcker des Hofes begrenzte und sich zwischen Waidbach und Büdingen erstreckte. Ein Frösteln durchlief Anja. Sie zog die Schultern hoch und schlang die Arme um sich.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich verstanden habe, Anja Eyring«, sagte Franz endlich. »Hast du mir gerade einen Heiratsantrag gemacht?«
Anja zuckte zusammen. »Nein, nein, Franz. Es ist kein Antrag, wir werden kein Paar. Es ist ein Handel, ein Zweckverband, der uns beiden nützlich ist. Mehr nicht!«
»Ähm, ich verstehe trotzdem nicht … Es kommt doch aufs Gleiche heraus. Wir würden heiraten.« Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Welcher Teufel hat dich geritten anzunehmen, ich würde dich als meine Ehefrau nehmen wollen? Ich meine, Anja …« Er breitete die Arme aus. »Du hast doch einen Spiegel daheim, oder? Du weißt, wie du aussiehst, ja? Wie kannst du bloß so vermessen sein zu erwarten, dass einer wie ich, ein Mann, der voll im Saft steht, sich mit einer Frau wie dir einlässt? Ich … Mir liegt es fern, dir weh zu tun«, erklärte er, »aber du sprichst klare Worte – also musst du für meine Offenheit gewappnet sein. Selbst wenn du mir ein Schloss und einen Adelstitel dazu schenken würdest, Anja Eyring, würde ich mir eher einen Dolch in den Hals stoßen, als dich zur Frau nehmen. Für nichts auf der Welt, verstehst du? Stell dir die Blamage vor – einer wie ich mit einer wie dir am Bandel … Mädchen, was hast du dir dabei bloß gedacht?«
Anja fühlte sich einer Ohnmacht nah, taumelte, während seine Worte wie Säbelhiebe auf sie eindrangen. Ein Teil ihres Verstandes erkannte ihren entscheidenden Fehler: Sie hatte nicht mit Franz’ Eitelkeit gerechnet.
Franz griff nach ihrem Ellbogen, als sie wegzusacken drohte. Sie befreite sich mit einer so herrischen Bewegung, dass er zurückwich.
»Du kannst nicht wirklich eine andere Antwort erwartet haben, oder?« Er lachte nun. »Ich kann das nicht glauben, dass du den Mut aufgebracht hast, mit diesem Anliegen hier vorzusprechen. Das nötigt mir tatsächlich Respekt ab, Anja Eyring.«
»Spar dir deine Worte«, brachte sie tonlos hervor.
»Selbst wenn ich
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