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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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hatte, zu verwelken begannen.
    Unbemerkt stahl sich ein Lächeln auf Marlieses Züge. »Ich vertraue dir, Bernhard«, sagte sie. Sie streckte beide Arme über den Tisch und umfing die Rechte ihres Sohnes.
    Helmine sprang auf, stapelte klappernd das benutzte Geschirr und stapfte damit zur Spülschüssel.
    »Sie hasst mich«, flüsterte Marliese.
    Bernhard drückte ihre Hände. »Sie wird dich wieder lieben lernen.«

7. Kapitel
    S ollte sie ihr Sonntagskleid anziehen? Das hochgeschlossene mit dem Spitzenbesatz an den Schultern? Nein, Anja entschied sich dagegen. Es wäre ohnehin vergebliche Liebesmühe. Kein Putz verbarg ihre Hässlichkeit.
    Sie band die Schürze ab und warf sich den Umhang mit der weiten Kapuze über, bevor sie in ihre Schuhe schlüpfte und ein letztes Mal nach dem Geldsäckel an ihrer Taille tastete.
    »Na, Täubchen, wo willst du jetzt noch hin? Wartet da ein Kavalier auf meine Schöne, hm?«
    Anja schrak zusammen, als unvermittelt ihr Vater vor ihr stand. Sie hatte nicht gehört, wie er den Laden verlassen hatte und in den Flur getreten war. Auf seinen Holzpantinen stand er vor ihr, wackelte mit dem Zeigefinger und schmunzelte.
    »Ach, Vater …« Sie hob sich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Nein, kein Kavalier. Ganz bestimmt nicht. Ich laufe nur rasch zum Stellmacher. Der schuldet uns noch ein paar Groschen.«
    »Na, ob ich dir das glauben soll?« Sein Schmunzeln zerrte an ihren Nerven.
    »Ich gehe tatsächlich nur zum Schuldeneintreiben. Auf dem Rückweg besorge ich frisches Schmalz beim Schlachter, wenn du magst.«
    »Hm, eine wunderbare Idee. Viel Erfolg beim Schmied.« Er hatte schon wieder vergessen, wohin sie angeblich unterwegs war. Und wahrscheinlich auch, aus welchem Grund.
    Anja seufzte, als sie aus der Tür trat und den Weg Richtung Dorfstraße einschlug.
    In Gedanken legte sie sich noch einmal die Worte zurecht, die sie an Franz zu richten gedachte.
    Wichtig war, dass nicht die Spur eines Gefühls mitschwang. Er sollte um Himmels willen nicht annehmen, dass ihr irgendetwas an seiner Gesellschaft lag. Sie würde vor ihn treten als eine Frau, die ein Geschäft abzuschließen gedachte – einen Handel zu beiderseitigem Nutzen.
    Sie passierte den Dorfbrunnen, der sich in der Mitte des Marktplatzes von Waidbach befand, ließ die kleine weißgetünchte Kirche mit dem schmalen Turm links liegen und nahm den Weg geradeaus, der nach Büdingen führte. Der Lorenz-Hof lag rechts hinter einer Reihe von Fachwerkhäusern, die dem Stellmacher, dem Schlachter und dem Dorfschneider gehörten. Viele Häuser und Höfe wirkten bereits verlassen, die Fenster und Türen waren mit Brettern verbarrikadiert.
    Endlich kam der Lorenz-Hof in Sicht. Die schmutzig weißen Wände hoben sich kaum noch von dem zweistöckigen dunklen Fachwerk ab, das Strohdach hing löchrig und faulig über die Mauern. Vor vielen Jahren mochte das Anwesen einen stattlichen Eindruck gemacht haben.
    Linden streckten ihre verzweigten Kronen wie ein Flechtwerk über den Hof, zwischen ihren Stämmen eine Bretterbank mit verwitterter Lehne. An das Wohnhaus grenzte der Baumgarten, in dem früher wohl Äpfel, Kirschen und Pflaumen geerntet wurden. Nun ragten die Äste krank und hohl und kahl in den Himmel. Braunes Unkraut schlängelte sich weit die Stämme hinauf.
    Hinter dem Baumgarten erstreckten sich die Äcker, die nach der letzten Missernte brachlagen, und die Wiesen, auf denen schon lange weder Kühe noch Pferde grasten. Jauchengestank stieg Anja in die Nase.
    Der Innenhof war übersät von Löchern und Pfützen. Zwei Schweine grunzten im Dreck.
    Anjas Herz pochte bis zum Hals, als sie sich einen Weg zur Haustür suchte und den Pfützen auswich.
    Die Tür stand angelehnt, einen Klopfer gab es nicht.
    »Jemand zu Hause?«, rief Anja durch den Spalt. Von drinnen drang Murmeln und das Scheppern von Töpfen zu ihr. Offenbar saß die Familie zu Tisch. Niemand antwortete ihr.
    Sie setzte einen Fuß in den Flur. Die Tür quietschte, die Dielen unter Anjas Schuhen knarrten. Behutsam ging sie Schritt um Schritt weiter. Das Blut rauschte in ihren Ohren.
    Schließlich verharrte sie vor der Küche. Die drei Lorenz-Söhne hockten über ihren Schüsseln, die schwergewichtige Mutter hielt eine Holzschüssel im Arm und schaufelte daraus einen grünbraunen Brei auf die Teller. Anja nahm den durchdringenden Kohlgeruch wahr.
    »Gott zum Gruße«, sagte sie.
    Mutter Lorenz stieß einen heiseren Schrei aus und konnte

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