Weiße Nana / Mein Leben für Afrika
Leprapatientin, und bis heute sehe ich sie klar vor mir: auf dem nackten Boden ihrer Hütte sitzend, nur in Lumpen gehüllt. Es stank entsetzlich nach faulenden Wunden. Ich trug Mundschutz und Handschuhe und hatte mich mental gerüstet. Aber auf so etwas kann man sich nicht vorbereiten.
Ich stand etwa einen halben Meter von ihr entfernt. Technisch gesehen wusste ich, was zu tun war, aber nun stand ich da in ihrer Hütte und stockte. Der Geruch trieb mir die Tränen in die Augen, ihr Blick war jedoch der, den ich von den meisten Menschen hier kenne: in den Augen ein Lächeln, und das trotz ihrer zum Himmel schreienden Situation. Und da folgte ich einem inneren Impuls. Ich riss mir den Mundschutz ab, zog die Handschuhe aus und nahm sie einfach in den Arm. Dann setzte ich mich neben sie auf den Boden und unterhielt mich mit ihr, während Emmanuel in ihrer Eingangstür hockte und übersetzte. Wahrscheinlich war das eines der wichtigsten Dinge, die ich für sie tun konnte. Denn keiner besuchte sie, keiner nahm sie in den Arm oder sprach mit ihr.
Leprakranke sind Ausgestoßene. Ihre Familie, ja die ganze Gesellschaft hat sich von ihnen abgewandt. Und das in einem Land, in dem die Familie die Garantie zum Überleben ist. Später in der Voltaregion sollten die Leprakranken zu einem wichtigen Teil meines Lebens werden, doch davon ahnte ich an jenem Tag in der Hütte am Bosomtwisee noch nichts.
Schließlich zog ich mir die Handschuhe wieder an und verband ihre Wunden, die voller Dreck und Würmer waren. Zum Abschied schenkte sie mir ein Lächeln und bedankte sich so inbrünstig, als ob ich sie geheilt hätte, dabei hatte ich doch nur ihre Wunden versorgt. Ich war tief in Gedanken versunken und hätte nicht gedacht, dass es nun noch schlimmer kommen sollte.
Zurück wollte ich den direkten Weg zum Ufer einschlagen, doch die Einwohner riefen: »Nein, nein, da könnt ihr auf keinen Fall langgehen!«
Ich fragte: »Ja warum denn nicht?«
»Na ja«, drucksten sie dann herum, »weil da einer sitzt, der stinkt so.«
»Was?«, fragte ich. »Wie meint ihr das: ›Der stinkt so‹?«
Ich vermutete gleich, dass dieser Mensch wahrscheinlich eine große Wunde hatte, die in der tropischen Hitze sehr schlecht heilen konnte und dann angefangen hatte zu stinken. Jetzt war ich erst recht neugierig und ging dort vorbei.
Auf einem Mäuerchen sah ich einen Mann sitzen mit einem Bein, das schon so gut wie abgefault war. Seine Zehen waren kohlschwarz. Das gesamte Bein war bereits ödematös geschwollen, weil sich darin unglaublich viel Wundwasser angesammelt hatte. Und natürlich stank dieses faulende Bein gewaltig.
Ich war geschockt. Ich kann kaum beschreiben, was ich beim Anblick dieses Mannes empfunden habe. Die Tränen stiegen mir in die Augen, als sich unsere Blicke trafen. Er wirkte so hoffnungslos und fast schon apathisch.
Am meisten jedoch wunderte ich mich, dass der Mann überhaupt noch am Leben war. Aber das war er, er saß dort auf seinem Mäuerchen, und kein Mensch traute sich seit Wochen in seine Nähe. Weil er so entsetzlich stank, aber auch, weil alle dachten, dass auf diesem Menschen ein böser Zauber läge, aus diesem Grund hatte auch seine Ehefrau Abstand von ihm genommen und warf ihm nur von Weitem etwas zum Essen zu. Völlig isoliert saß er da vor seinem Haus. Außer einem Stofffetzen, der um seine Hüfte gewickelt war, war er vollkommen nackt.
»Wie heißt du?«, fragte ich ihn und versuchte, ihm nicht zu zeigen, wie entsetzt ich über seinen Zustand war.
»Stephen. Stephen Owusu«, sagte er und starrte mich an, als sei ich eine Erscheinung, denn seit langer Zeit hatte sich niemand mehr in seine Nähe gewagt. In mir wuchs eine fürchterliche Wut. Wie kann man einen Menschen nur so im Stich lassen und zusehen, wie er langsam verfault? Ich war außer mir vor Zorn und sah mich nach Emmanuel um, der etwas entfernt stand und mir von dort aus übersetzte.
»Emma, bitte komm her«, rief ich, »wir müssen uns dringend um diesen Mann hier kümmern.«
Zu Stephen sagte ich: »Wir werden dir helfen, Stephen. Und wenn es das Letzte ist, was ich auf dieser Welt tue.«
Ich marschierte los, voller Wut und Zorn und legte die Strecke nach Apewu in Rekordzeit zurück. Emmanuel schritt im gleichen Tempo neben mir und fragte: »Was hast du vor? Wie willst du ihm helfen?«
Zunächst einmal holte ich aus meiner Hütte in Apewu ein Antibiotikum und ein Schmerzmittel. Danach ging ich, Emmanuel im Schlepptau, beim
Chief
vorbei und bat
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