Weiße Nana / Mein Leben für Afrika
anwinkeln.
Jener Pastor, der mich dem Chief so empfohlen hatte, meinte es gut und versprühte sein ganzes Parfüm auf die Sitze, aber das machte eigentlich alles nur noch schlimmer. Es war unerträglich heiß und stickig, und während der gesamten Fahrt nach Kumasi streckten wir unsere Köpfe, so gut es ging, aus den offenen Fenstern, um nicht ohnmächtig zu werden von dem Fäulnis-Parfüm-Gemisch. Aber natürlich war das alles nichts im Vergleich zu den entsetzlichen Qualen, die Stephen Owusu erleiden musste. Immer wieder stöhnte er leise vor Schmerzen. Er tat mir so unendlich leid, doch ich schluckte meine Tränen hinunter. Jetzt musste ich stark sein, zum Weinen war später noch Zeit genug.
In Kumasi beim Hospital angekommen, war es für mich eine herbe Enttäuschung, denn keiner der Ärzte wollte ihn behandeln. Die Krankenschwestern rannten alle davon, als sie uns sahen. Keiner hatte Lust, sich den Tag mit einem abgefaulten Bein zu verderben. Fassungslos sah ich meinen ghanaischen Kollegen hinterher. Ich tobte durch die Gänge und versuchte, mir einen Arzt zu greifen und ihn an seinen hippokratischen Eid zu erinnern, doch plötzlich waren alle ganz furchtbar beschäftigt. Noch heute fühle ich die unbändige Wut und die hilflose Verzweiflung, während ich in diesem fürchterlichen Krankenhaus herumirrte, auf der Suche nach irgendjemandem, der uns helfen würde. Irgendwann gelang es mir, Stephen an einen Tropf anschließen zu lassen, damit er mit Flüssigkeit und einem Schmerzmittel versorgt war, dazu musste ich die Kanüle eigenhändig anlegen. Schließlich fand ich einen ganz jungen Arzt, der offenbar gerade von seinem praktischen Jahr in Großbritannien zurückgekommen war, und der fasste sich ein Herz und untersuchte Stephen.
In Ghana ist es so, dass man alle Medikamente, auch Nadeln und Infusionen, Pflaster, Ampullen – einfach alles, was der Patient in einem Krankenhaus braucht –, zuerst in einer Apotheke kaufen muss. Wenn man Glück hat, befindet sich gleich in der Nähe eine, aber mitunter muss man durch die halbe Stadt fahren, um alles zusammenzukriegen. Und wenn es dir schlechtgeht und du niemanden hast, der das für dich einkaufen geht, dann hast du einfach Pech gehabt.
Als wir endlich alles für Stephen hatten, was er benötigte, da war der Arzt schon wieder bei einem anderen Patienten, denn es war klar, das Bein musste abgenommen werden, daran führte kein Weg vorbei. Und als nach Stunden immer noch nichts passiert war, sondern Stephen in irgendeinem Korridor geparkt war bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, da ging ich in den OP -Saal und sagte, wenn sich jetzt nicht endlich jemand kümmert, dann flippe ich hier und jetzt aus, und dann könnt ihr sehen, was von eurem Krankenhaus übrig bleibt. Als dann auch noch einer der Ärzte von oben herab »My dear …« zu mir sagte, war das nur noch Öl auf die Flammen meines Zorns.
»Wenn ihr glaubt«, fauchte ich, »dass ihr mich und den armen Stephen loswerdet, dann habt ihr euch getäuscht. Wir bleiben so lange, bis ihm jemand das Bein abnimmt. Und wenn er stirbt, habt ihr ihn auf dem Gewissen!«
In dieser Nacht tat ich kein Auge zu. Diese zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit konnte ich einfach nicht hinnehmen. Wir übernachteten bei Verwandten unseres Pastors in einem Raum, in dem die ganze Nacht eine Schwarzlichtlampe brannte, und dieses unwirkliche, kalte Licht und die Sorge um Stephen raubten mir fast den Verstand.
Es dauerte drei Tage, bis ich die Leute im Krankenhaus endlich so weit hatte, dass Stephen an die Reihe kam. Immer wieder wurde ich mit den gleichen Ausreden konfrontiert: keine Zeit, kein Personal … Ich glaube, in diesen drei Tagen begriffen auch Emmanuel und der Chief Odikro, dass es eines für mich auf keinen Fall gibt: nämlich aufgeben.
Endlich rollten sie Stephen in den Operationssaal, und wir hofften und beteten, dass alles gut verlaufen würde. Während Stephen auf dem Flur geparkt gewesen war, hatten mehrere Ärzte im Vorbeigehen gesagt, dass sie kaum glauben könnten, dass dieser Mann immer noch am Leben war. Und ich schrie sie jedes Mal an, dass es an ihnen läge, ihm zu helfen oder ihn jämmerlich zugrunde gehen zu lassen. Die Operation dauerte mehrere Stunden, Stephen wurde das Bein entfernt samt der halben Hüfte. Es war ein echtes Wunder, dass er die Prozedur überstand.
Natürlich wollten wir ihn hinterher auf der Station besuchen. Und als man uns mit der Begründung, wir seien ja nicht einmal mit ihm verwandt,
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