Weiße Nana / Mein Leben für Afrika
dem Dorf ab, ich selbst musste zu diesem Zeitpunkt leider schon wieder in Deutschland sein. Sie brachten die beiden in ein Kinderheim, das wir vorher für sie ausgesucht hatten. Ein liebevoll geführtes Haus für Kinder, die entweder keine Eltern mehr haben oder, wie Daniel und King, ihr Elternhaus auf andere Weise verloren hatten.
Dort besuchte ich die beiden, als ich einige Monate später wieder nach Ghana kam. Joycelyn hatte sie die ganze Zeit über betreut und mir nur Gutes berichtet. Offenbar blühten die beiden richtig auf in ihrer neuen Umgebung. Zwar hatten sie noch nie eine Schule von innen gesehen, aber King und Daniel lebten sich gut ein und begannen bald, das Versäumte aufzuholen.
Ich war gespannt wie ein Flitzebogen, als wir zu dem Heim fuhren. Wir kamen etwas zu früh an, Daniel und King waren noch in der Schule. Einstweilen begrüßten uns die kleineren Kinder, die noch nicht in der Schule waren, in wunderbarstem Englisch.
Ich bin es eigentlich gewöhnt, dass Kinder, die zuvor noch nie Weiße gesehen haben, mich zunächst aus sicherer Entfernung anstaunen, mitunter auch ängstlich reagieren. Hier war das jedoch überhaupt nicht der Fall. Die Kinder waren an weiße Erzieherinnen und Praktikanten gewöhnt und empfingen mich aufs Herzlichste. Eines der Mädchen brachte mir ein Glas mit Wasser, die anderen turnten bereits auf mir herum. »Aunty, Aunty«, riefen sie, »I want to see your watch.«
Schließlich kamen die Schulkinder nach Hause. Joycelyn sagte: »Da drüben, das sind die zwei.«
Und ich: »Ja, aber die sehen so anders aus …«
Ich hätte sie fast nicht erkannt. Daniel ging aufrecht und mit gesundem Selbstvertrauen, und King lachte fröhlich. Waren dies dieselben kleinen, verschreckten Jungs, die wir aus dem Fischerdorf geholt hatten? Ich konnte es kaum glauben.
»Daniel«, rief ich auf Bettina-Art, ungestüm und laut, und lief auf ihn zu.
Er schaute mich an. Und fühlte sich in diesem Moment wahrscheinlich völlig überfordert.
Dann sagte er ganz ruhig und voller Würde auf Englisch: »Ich habe im Moment keine Zeit. Ich muss nämlich erst meine Schuhe trocknen.«
Und holte seine Turnschuhe aus einer Plastiktüte und stellte sie schön ordentlich in die Sonne.
Ich konnte es nicht fassen. Dieser Junge hatte vorher noch nie Schuhe besessen, und aus irgendeinem Grund waren sie nass geworden. Und darum war dies für ihn im Moment das Wichtigste auf der Welt, wichtiger noch, als die Frau zu begrüßen, die ihn vor seinem gewalttätigen Master gerettet hatte.
Danach zog er erst noch seine Schuluniform aus und normale Spielklamotten an, ehe er endlich zu mir kam und ich ihn drücken durfte.
»Wie geht es dir denn«, fragte ich ihn.
»Mir geht es richtig gut«, sagte er strahlend und legte beide Arme um mich, »ich gehe jetzt zur Schule!«
Danach zeigten uns die Kinder voller Stolz den Schlafraum und ihre Betten. Von King kannten wir ja nun den Haufen Lumpen, auf dem er im Fischerdorf geschlafen hatte, und verstanden seine Freude umso mehr, denn zum ersten Mal in ihrem Leben hatte er ein richtiges, eigenes Bett.
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33. Daniel ist sicher im Kinderheim untergebracht
Dann bat ich Joycelyn, nochmals auf Ewe nachzufragen, ob ich das alles auch richtig verstand.
»Bitte frag ihn, ob es ihm gut geht.«
Und ihr berichtete er dann noch ausführlicher, dass es ihm wunderbar gehe und es ihm so gut in dem Kinderheim gefalle. Er sei so glücklich, er könne zur Schule gehen und Fußball spielen, seine große Leidenschaft, habe seine eigenen Schulbücher, bekomme genug zu essen und schlafe sogar in einem richtigen Bett.
Dann bat ich Joycelyn: »Bitte frag ihn doch mal, ob er sich an uns erinnert.«
Seine Antwort war, ja, an mich könne er sich erinnern. Er wisse zwar nicht, wo wir hergekommen waren. Aber er wisse, wir hätten ihn gerettet.
Ich kann gar nicht ausdrücken, was das bedeutet, wenn ein kleines Kind so etwas zu dir sagt.
Joycelyn, die an diesem Tag ganz still wurde, sagte zu mir:
»Bettina, ich weiß nicht, ob wir das Richtige tun. Ob wir nicht vielleicht doch alle Kinder auf der Stelle aus diesen Dörfern holen sollten. Wenn man sich diese beiden Jungs anschaut, dann kommt es mir vor, als sei jeder weitere Tag, den die Kinder bei den Fischern verbringen müssen, ein Tag zu viel.«
Uns allen kamen die Tränen. Tränen der Freude, aber auch Tränen der Anspannung, in der wir uns ja immer noch befanden.
»Doch, Joycelyn«, sagte ich schließlich. »Wir machen
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