Weiße Nana / Mein Leben für Afrika
in diesem Fall bei starken Prellungen geblieben, zum Glück hatte sich Daniel keine Rippe gebrochen, auch war er, soweit ich das, ohne ihn röntgen zu können, beurteilen konnte, nicht innerlich verletzt. Als dies geklärt war, stellte der Redakteur eine Frage, die Emmanuel übersetzte:
»Warum bist du denn geschlagen worden?«
»Weil ich spielen wollte.«
Als ich das aus dem Mund dieses kleinen Jungen hörte, war es um meine Selbstbeherrschung geschehen, ich musste weinen, ob ich wollte oder nicht. Das war der Moment, als der Kameramann sein Gerät ausschaltete.
Außer mir vor Zorn sagte ich: »O.k., es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder wir brennen jetzt auf der Stelle das ganze Dorf nieder, oder ich nehme den Jungen mit.«
Emmanuel aber wandte ein: »Bettina, das ist jetzt keine gute Idee.«
»Das ist mir scheißegal«, schrie ich den Ärmsten an, so außer mir war ich, »der Kleine bleibt auf keinen Fall hier. Ich kann es einfach nicht glauben! Was sind denn das für Menschen hier? Kleine Kinder mit einem Holzpaddel zu prügeln?« Und damit die vom Dorf mich nicht verstanden und nicht noch schlimmeres Unheil geschah, tobte ich mich erst einmal auf Deutsch so richtig aus.
Dann nahm ich Daniel fest bei der Hand und ging mit ihm in einer richtigen Prozession, das Kamerateam mit uns, die ganze Dorfstraße hinunter, bis wir in der Nähe unserer Autos, die wir am See geparkt hatten, angelangt waren. Währenddessen sagte ich zu Emmanuel, der versuchte, mich zur Vernunft zu bringen, dass ich auf der Stelle mit Joycelyn sprechen wollte, und an meinem Ton erkannte Emmanuel, dass im Augenblick nicht mit mir zu spaßen war. Victor, der uns kommen sah, stieg aus, und da es leicht zu regnen begann, kam er, fürsorglich, wie er ist, mit einem Schirm auf uns zu, den er über mich und die Kamera halten wollte. Als der kleine Daniel jedoch diesen Schirm sah, da flippte er völlig aus und fing hysterisch an zu schreien. Offenbar dachte er, jetzt würde er erst recht verprügelt. Wie verängstigt dieses Kind war, das hat mir schlussendlich diese Szene erst richtig gezeigt. Ich war außer mir vor Wut und Trauer.
Wir berieten uns.
Emmanuel war dafür, jetzt nichts zu überstürzen. »Wir sind auf einem guten Weg mit den Leuten«, sagte er, »wenn wir jetzt den Jungen einfach mitnehmen, machen wir genau das Gegenteil von dem, was wir versprochen haben. Und alles war umsonst.«
Er hatte ja recht, aber ich war so wütend und kaum fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Schließlich bat ich Joycelyn, mit den Leuten zu reden.
»Ich will diese Kinder hier rausholen«, sagte ich, »und zwar nicht nur Daniel, sondern auch King. Bitte sieh zu, was du machen kannst.«
Joycelyn ging zu den Fischern, und Stanley und Roland, der Welfare Officer, begleiteten sie. Sie sprach mit der nötigen Ruhe, die mir im Augenblick so sehr fehlte, mit dem Chief, während ich bei den Autos blieb. Mir war klar, so aufgewühlt, wie ich war, hielt ich mich am besten zurück. Außerdem war es ohnehin besser, die Einheimischen machten das unter sich aus, und ich mitsamt dem Kamerateam – also alle Weißen – klinkten uns da jetzt aus.
Unter den Fischern waren viele, die unsere Meinung teilten und Joycelyn versicherten, dass sie ihre Arbeitskinder gut behandelten. Sie sagten, dass sie es nicht guthießen, wie einige ihrer Kollegen mit den Kindern umgingen. Besonders der Master von Daniel sei ein extrem gewalttätiger Mann.
Nach einer Stunde ungefähr erfuhr ich, dass man auf Joycelyns und Emmanuels Anregung hin beschlossen hatte, ein Stammestreffen einzuberufen, um die ganze Sache zu besprechen.
Dazu kamen wir alle auf dem Dorfplatz zusammen, und hier hielt Emmanuel eine wichtige Rede. Meine Güte, ich habe meinen engsten Mitarbeiter in meinem Leben noch nie so wütend erlebt. In seiner eigenen Sprache, in Ewe, las er ihnen die Leviten.
»Ich stamme aus eurer Gegend. Ich gehöre zu euch«, sagte er, »wie könnt ihr so etwas tun? Wie könnt ihr es zulassen, dass einer unter euch ein hilfloses Kind mit einem Paddel schlägt? Seid ihr denn Tiere? Wisst ihr nicht, wie man ein Kind zu behandeln hat? Ich schäme mich für euch. Und ich erkläre euch heute: Wenn so etwas noch einmal geschieht, wird Nana Enimkorkor nie wieder hierherkommen. Sie wird ihren Sponsoren in Deutschland sagen, dass sie ihr Geld anderweitig ausgeben wird.«
Emmanuel schimpfte und schimpfte. Als ich ihn so wütend hörte, dachte ich, hoffentlich bringen sie uns jetzt nicht
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