Weiße Nebel der Begierde
gewesen war. Dieser Raum verriet Sanftmut und Geborgenheit, und als Eleanor auf das Bett zuging, war sie kein bisschen überrascht, dort jemanden vorzufinden.
Juliana lag zusammengerollt in kindlicher Unschuld unter der zerwühlten Bettdecke und hielt die Puppe, die Eleanor am Nachmittag aufgefallen war, im Arm. Im Schein der Kerze wirkte das Kindergesicht friedlich und engelsgleich - die Leere in den Augen, die Eleanor bei Tageslicht so erschreckt hatte, war hinter den geschlossenen Lidern verborgen.
Offenbar war Juliana hergekommen, um den Frieden zu suchen, den sie sonst nirgendwo finden konnte. Eleanor, die das schlafende Mädchen betrachtete, hatte nicht das Herz, sie zu wecken oder gar wieder hinaufzuschicken. Andererseits konnte sie die Kleine auch nicht gut hier allein lassen, also löschte sie die Kerze, stellte sie auf das Nachtkästchen und schlüpfte vorsichtig neben Juliana unter die Decke.
Kapitel vier
Bu dual da sin.
Das war sein Geburtsrecht.
Gälisches Sprichwort
Gabriel starrte in das Torffeuer, das im Kamin herunterbrannte, und betrachtete die tanzenden Flämmchen durch sein Brandyglas. Er war allein in seinem fast dunklen Arbeitszimmer, hatte die Ellbogen auf die Armlehnen des Sessels gestützt und die Beine in Richtung Kamin ausgestreckt.
Für jeden zufälligen Beobachter wäre er der noble Lord, der es sich bequem gemacht hatte. Die Krawatte hing lose um seinen Hals, die Ärmel seines Hemdes waren aufgekrempelt - aber sein Mund war verkniffen und seine Stimmung drückte ihn nieder wie ein bleischwerer Mantel.
Er hatte die Stunden nach dem Abendessen an seinem Schreibtisch zugebracht und einige Dokumente seinen Besitz betreffend durchgearbeitet, später hatte er sich dann in den Sessel gesetzt, auf die Geräusche im Schloss gelauscht, das allmählich zur nächtlichen Ruhe fand - Türen fielen ins Schloss, Lichter wurden gelöscht, Fensterriegel kontrolliert, die aufspringen könnten, wenn eine Windbö über die Insel fegte. Der Regen hatte schon vor einiger Zeit nachgelassen und war jetzt nur noch ein sanftes Nieseln, und seit über einer
Stunde hatte Dunevin in den Fluren die letzten Schritte gehört - zweifellos die seines Dieners Fergus, der von der großen Halle in sein Zimmer im gegenüberliegenden Turm geschlurft war.
Es war ein langer und nervenaufreibender Tag gewesen, und Gabriel wusste, dass er längst hätte ins Bett gehen sollen. Er musste Vorbereitungen für die Ernte treffen und an den Winter denken, die Rinder und Schafe mussten versorgt und die Vorräte für die Inselbewohner aufgestockt werden. Zudem fand der finstere Lord of Dunevin nicht leicht Schlaf.
Den ganzen Abend, auch während er sich mit der Schreibtischarbeit beschäftigt hatte, weilten Gabriels Gedanken bei den Ereignissen des Tages. Das unheimliche Bild von Julianas starrem, leerem Blick beim Abendessen und die Erinnerungen an das, was einst gewesen war, ließen ihn immer noch nicht los.
Konnte es wirklich sein, dass noch vor drei Jahren ein glockenhelles Lachen von den süßen Lippen des Kindes perlte und den Tag verzauberte wie das erste Sonnenlicht, das sich nach einem Unwetter durch die Wolken brach?
Es war kaum vorstellbar, dass seine Tochter einmal gesungen hatte wie ein entzückendes Engelchen. Nur zu hören, wie sie ihn »Da« nannte, war an jedem einzelnen Tag sein wunderbarer Lohn. Sie hatte heller gestrahlt als der hellste Stern. Jeder Tag war ein neues, großartiges Abenteuer...
... bis das Schicksal Gabriel vor Augen geführt hatte, dass er einen schrecklichen Preis für sein bisschen Glück zu bezahlen hatte - nämlich den, dass er der süßen Stimme seiner Tochter und des Lebens seiner jungen Frau beraubt wurde.
Lady Georgiana Alvington war siebzehn Jahre alt gewesen, als Gabriel sie zum ersten Mal sah. Sie stand wie eine zarte, goldene Osterglocke mitten in einem überfüllten Londoner Ballsaal. Es war Frühling, der Anfang einer neuen Londoner Gesellschaftssaison, und Gabriel war gerade von der Halbinsel zurückgekehrt, nachdem er die Nachricht vom frühzeitigen Tod seines Bruders Malcolm erhalten hatte.
Gabriel hatte nicht vorgehabt, an diesem Abend irgendwelche Festivitäten zu besuchen, und war nur nach London gekommen, um sich um die rechtliche Seite der Übernahme des Besitzes und des Titels von Dunevin zu kümmern. Sein Colonel Barrett hatte ihn gebeten, an diesem Abend auf den Ball zu gehen; die Gastgeberin war immerhin die Frau des Colonels.
»Sie werden noch viel Zeit in
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