Weiße Nebel der Begierde
zu Gabriel auf. »Ich verstehe das nicht. Was ist das?«
Gabriel schüttelte den Kopf. »Ich habe vergessen, dass Sie die gälische Sprache nicht lesen können.«
»Ich erkenne einige Worte. Da steht etwas von einem Fluch und St. Columbas Stab. Das Pergament sieht aus, als wäre es Jahrhunderte alt.«
»Das ist es.«
Gabriel nahm Eleanor die Rolle aus der Hand, als fürchtete er, dass ihr die bloße Berührung schon Schaden zufügen könnte.
Er ließ sich wieder auf den Stuhl neben ihr nieder. »Sie erinnern sich doch sicher an den gestrigen Rundgang auf dem Friedhof.«
Sie nickte.
»Ihnen ist sicher nicht entgangen, dass etliche der MacFeaghs früh verstorben sind. Das weiß hier jeder und am besten weiß ich es.«
Wieder nickte sie stumm.
»Und ohne Zweifel ist Ihnen zu Ohren gekommen, dass eine Menge Menschen überzeugt sind, wir MacFeaghs würden die Unseren auf heimtückische Weise ins Jenseits befördern.«
Gabriel warf ihr einen kurzen Blick zu, dann fuhr er fort: »Es ist nicht zu leugnen, dass die Mitglieder meiner Familie oft sehr jung den Tod fanden. Es ist wie eine Serie, die sich immer und immer wiederholt. Manchmal geschieht Jahre lang nichts, doch dann trifft es wieder einen MacFeagh. Und tatsächlich ist ein MacFeagh Urheber dieser Reihe schrecklicher Unglücke.«
Gabriel erzählte die Geschichte von seinem unglückseligen Ahnen und der Hexe von der Insel Jura, die ihn gerettet und dann mit einem Fluch bestraft hatte, der ihn und seine Nachkommen treffen sollte. Er endete mit der Legende von St. Columbas Stab, der vor so vielen Jahren spurlos verschwunden war. »Und seit dieser Zeit ereilt alle, an die ein Laird der MacFeagh sein Herz verliert, ein frühzeitiger Tod.«
»Und die Hexe hat dies hier hinterlassen?«, fragte Eleanor und deutete auf das Pergament.
Gabriel nickte. »Da der Fluch schon seit Urzeiten wirksam ist, verstehen Sie sicherlich, warum die Leute mich und meine Vorfahren für Dämonen halten.«
Eleanor dachte lange über die unglaubliche Geschichte nach, die Gabriel gerade erzählt hatte.
Hätte sie diese Geschichte aus dem Mund eines anderen und an einem anderen Ort gehört, hätte sie sofort angenommen, das alles sei ein Täuschungsmanöver, mit dem eine ruchlose Tat vertuscht werden sollte.
Aber hier, auf dieser Insel ... und von diesem Mann ...
»Ich wollte heute Nacht dieses verdammte Pergament verbrennen, als Cudu unruhig wurde und mich auf den Brand aufmerksam gemacht hat.«
Eleanor schaute ihm in die Augen und erkannte die Furcht in seinem Blick. »Glauben Sie, das Feuer ist ausgebrochen, weil Sie beschlossen hatten, die Rolle zu zerstören?«
Gabriel gab keine Antwort. Das war auch nicht nötig.
Eleanor begriff zum ersten Mal, mit welchen
Qualen und Ängsten er sich sein ganzes Leben lang herumgeschlagen hatte, und ihr fiel nur eine einzige Antwort auf all das ein.
»Dann tun Sie es, Gabriel. Verbrennen Sie dieses schreckliche Stück Geschichte, so dass Sie die rachsüchtigen Worte nie mehr lesen müssen.« Sie nahm die Rolle vom Schreibtisch und hielt sie ihm hin. »Ich tue es gemeinsam mit Ihnen.«
Gabriel sah Eleanor an, als hätte sie den Verstand verloren. Aber nach einem Augenblick der Unsicherheit nahm er die Rolle und ging damit zum Kamin. Sie standen nebeneinander vor der Glut, die auf dem eisernen Gitter lag. Eleanor beobachtete, welche Empfindungen sich auf Gabriels Gesicht abzeichneten - zuerst Angst, dann Zustimmung und Entschlossenheit. Gabriel streckte langsam die Hand aus und ließ das Pergament auf die Glut fallen.
Flammen züngelten an ihm hoch, und Gabriel und Eleanor sahen zu, wie es zu Asche niederbrannte.
Ruhe, vergleichbar mit der friedvollen Atmosphäre eines Frühlingsmorgens, senkte sich über den Raum. Nichts Furchtbares war geschehen, keine übernatürliche Macht hatte die Tat, die sie vollbracht hatten, gerächt. Es war ganz still und warm, und beide hatten das Gefühl, das Richtige getan zu haben.
»Ich könnte es ertragen«, sagte Gabriel leise, ohne den Blick vom Feuer zu wenden, »wenn nur ich davon betroffen wäre. Aber dieser verdammte Fluch hat meiner Tochter die Mutter genommen, als sie sie am meisten gebraucht hätte, er hat ihr die Stimme geraubt, und jetzt droht er, auch noch meine Tochter selbst heimzusuchen.«
Gabriel sah Eleanor aus so kummervollen Augen an, dass sie beinahe in Tränen ausgebrochen wäre.
»Georgianas Familie hat geschrieben«, sagte er mit rauer Stimme, »und gedroht, das Sorgerecht für
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