Weiße Nebel der Begierde
London kann er Ihnen mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nichts anhaben.«
»Sie glauben, er will mir etwas antun?«
Gabriel sah sie an. »Sie waren in beide Vorfälle unmittelbar verwickelt. Deshalb darf ich diesen Verdacht auf keinen Fall ausschließen. Außerdem muss ich alles tun, um Juliana zu schützen. Sie werden mit ihr nach London fahren. Im Dunevin-Stadthaus werden Sie alles vorfinden, was Sie für ihre Erziehung und Ausbildung brauchen. Normalerweise ist das Stadthaus während der Saison vermietet, aber zu dieser Jahreszeit ist es unbewohnt. Ich schreibe einen Brief an meinen Anwalt Mr George Pratt in der Chancery Lane. Er wird Ihnen behilflich sein, das notwendige Personal einzustellen, und sicherstellen, dass Ihnen genügend Barmittel zur Verfügung stehen.«
»Das klingt, als hätten Sie vor, uns für eine längere Zeit dort einzuquartieren.«
»Es könnte eine ganze Weile dauern, bis die Brandschäden beseitigt sind.«
Eleanor runzelte die Stirn. »Ich werde den Verdacht nicht los, dass das nur ein Vorwand ist.«
Gabriel schüttelte den Kopf. »Nennen Sie es, wie Sie wollen, Eleanor, aber mein Entschluss steht fest.«
Mit einem Mal konnte Eleanor ihre Gefühle nicht mehr zurückhalten. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie blinzelte sie fort. Sie ärgerte sich, weil sie diese weibliche Reaktion zeigte, und stand auf, um zum Fenster zu gehen.
Sie verschränkte die Arme und beobachtete, wie der Stallknecht Angus die Ponys auf die Weide führte, damit er die Ställe ausmisten konnte. Sie dachte daran, dass sie vorgehabt hatte, Juliana das
Reiten beizubringen - sie hatte für sie das kleine graue Pony ausgesucht, das Angus »buckie-faalie« nannte, so hießen hier die Himmelschlüsselblumen, die die gutmütige Stute so gern fraß.
Sie hatte sich so viel vorgenommen, was sie mit Juliana machen konnte. Im kommenden Winter wollte sie Juliana zeigen, wie man stickte, und außerdem hatten sie beabsichtigt, Mairi beim Einmachen der Beeren, die sie gesammelt hatten, zu helfen.
Und jetzt sollten sie Monate weit, weit weg von der Insel verbringen.
Eleanor entdeckte Mairi, die Wäsche zum Trocknen an die Äste der alten Ulme am Rand ihres Kräutergartens hängte. Eleanors und Julianas Kleider hatten so sehr nach Rauch gestunken, dass Mairi Mohnwurzeln und zerstoßenes Farnkraut verwenden musste, um den Geruch zu vertreiben. Eleanor erinnerte sich bitter, dass sie Mairi versprochen hatte, bei dieser Arbeit zu helfen.
Stattdessen würde sie jetzt ihre Sachen für die Reise nach London packen müssen - für eine Reise in die Stadt, aus der sie geflohen war.
Eleanor drehte sich zu Gabriel um - sie war wütend, weil sich die Dinge so entwickelt hatten, und wütend auf Gabriel. »Sie tun das meinetwegen.«
Gabriel runzelte die Stirn. »Ihretwegen?«
»Ja, wegen der Dinge, die ich gestern Abend zu Ihnen gesagt habe.« Sie ging zurück zu ihrem Stuhl und setzte sich. In gemäßigterem Ton fügte sie hinzu: »Es tut mir Leid. Ich hätte so etwas niemals äußern dürfen.«
»Meine Entscheidung hat nichts damit zu tun, Eleanor.«
»O doch, sie hat nur damit zu tun. Ich habe mich unziemlich betragen. Aber ich bitte Sie, Juliana nicht für meine Verfehlung zu bestrafen; das würden Sie nämlich tun, wenn Sie sie von dem einzigen Zuhause wegschicken, das sie kennt.«
Gabriels Miene verdüsterte sich. Er starrte Eleanor reglos und ohne ein Wort zu sagen an, als müsste er gegen seine Gedanken ankämpfen.
Schließlich sagte er: »Es gibt etwas, was Sie wissen sollten. Der Schierling und das Feuer... das waren keine Zufälle, Eleanor.«
Eleanors Puls beschleunigte sich bei seinem unheilvollen, ja fast reumütigen Tonfall. Was wollte Gabriel damit sagen? Sie hockte auf der Stuhlkante, während ihr eisige Schauer über den Rücken liefen, und wartete auf eine nähere Erklärung.
Gabriel erhob sich und ging in eine Ecke des Raums zu einer eigenartigen großen Truhe, die mit einem verblassten Gobelin bedeckt war. Sie fragte sich, warum ihr die Truhe bisher nie aufgefallen war, als er mit dem Schlüssel, der an einer Kette um seinen Hals hing, das Schloss aufmachte. Er nahm etwas aus der Truhe und drehte sich wieder zu Eleanor um.
Gabriel überreichte ihr wortlos eine offensichtlich uralte Pergamentrolle.
Eleanor rollte sie vorsichtig auf. Das Pergament war mit gälischen Worten beschrieben und Eleanor konnte nur »neunhundert Jahre«, »Tod«, »Fluch« und »St. Columbas Stab« entziffern.
Eleanor sah verwirrt
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