Weiße Nebel der Begierde
wie er die Arme um sie gelegt und sie geküsst hatte. Sie bemühte sich zu vergessen, wie sehr sie sich erniedrigt hatte, als sie ihm so unbedacht ihre geheimsten Gefühle offenbart und er sich voller Abscheu von ihr abgewendet hatte. Wie lächerlich sie ihm vorgekommen sein musste, als sie ihm ihre Liebe gestanden hatte, während er vermutlich auf nichts anderes aus war als auf ein Techtelmechtel zwischen Herr und Dienerin.
Eleanor nahm sich zusammen und sah ihm ins Gesicht. Ihre Stimme klang klar, ruhig und sachlich, als sie sagte: »Ich wollte mit Ihnen sprechen, weil ich dachte, dass Sie sich fragen, warum Juliana und ich letzte Nacht im Zimmer der Viscountess und nicht im Kinderflügel genächtigt haben.«
»Die Gründe dafür wiegen nur wenig im Vergleich zu der Erleichterung, dass Sie beide sich nicht mitten in der Feuersbrunst aufgehalten haben.«
»Trotzdem sollten Sie sich, wenn auch nur um Julianas willen, meine Erklärung anhören.« Eleanor machte eine Pause und suchte nach den passenden Worten. »In meiner ersten Nacht in Dunevin habe ich die Entdeckung gemacht, dass Juliana nicht in ihrem Bett liegt. Ich habe sie gesucht und schließlich im Zimmer ihrer Mutter gefunden, und statt sie zu zwingen, wieder hinauf in ihr eigenes Bett zu gehen, hielt ich es für besser, sie an Ort und Stelle zu lassen. Es war offensichtlich, dass sie schon seit einiger Zeit jeden Abend hinunterschleicht. Ich nahm an, dass sie im Bett ihrer Mutter ein bisschen Trost findet. Deshalb beschloss ich, bei ihr zu bleiben.«
»Sie hat jede Nacht auf demselben Flur wie ich verbracht.« Gabriel schüttelte traurig den Kopf. »Und ich hatte keine Ahnung davon.«
»Ich glaube, niemand wusste davon. Aber es war ein Glück, dass sie dort war, als das Feuer ausbrach.«
»Ja. Das Feuer.« Gabriel nahm auf dem Stuhl neben ihr Platz. »Darüber wollte ich mit Ihnen reden. Das war kein unglücklicher Zufall, Eleanor. Der Brand wurde gelegt - vorsätzlich.«
Es dauerte einen Moment, bis Eleanor begriff, was er da sagte. »Wie können Sie das mit einer solchen Bestimmtheit sagen?«
»Die Tür von der Treppe zum Flur war versperrt - von außen. Ich nehme an, Sie haben die Tür nicht abgeschlossen, als sie in Georgianas Zimmer gingen, oder?«
Eleanor schüttelte den Kopf.
»Das bedeutet, jemand anderes muss es getan haben - mit der Absicht, Sie und Juliana da oben einzuschließen. Wenn Sie beide sich im Kinderflügel aufgehalten hätten, wären Sie nicht mehr herausgekommen, weil die Fenster vergittert sind.« Er schwieg eine Weile, ehe er fortfuhr: »Und da ist noch mehr. Ich habe einen umgefallenen Kerzenhalter im Schulzimmer gefunden und dort ist das Feuer ausgebrochen.«
»Einen Kerzenhalter? Aber wer würde ...?« Eleanor sah ihn an und erriet seine Gedanken. »Sie verdächtigen Seamus Maclean, den Brand gestiftet zu haben, habe ich Recht?«
»Er war wütend, weil er das Rennen gestern Morgen verloren hat. Danach war er verschwunden. Er wurde weder bei den Spielen noch später beim Festessen oder beim Tanz gesehen. Kein Mensch weiß, wo er nach dem Rennen abgeblieben ist.«
»Vielleicht ist er aufs Festland zurückgekehrt.«
Gabriel schüttelte den Kopf. »Dann müsste er geschwommen sein - wir hätten sein Schiff gesehen, wenn er aus der Bucht gesegelt wäre. Wegen der starken Strömung um diese Jahreszeit kann man die Insel nur über die Anlegestelle verlassen.«
»Aber seine Eltern. Sie können doch sicher sagen, ob er in der letzten Nacht bei ihnen war.«
»Ich habe Fergus schon losgeschickt; er holt sie nach Dunevin, damit ich sie befragen kann, und er wird auch Seamus mitbringen, wenn er bei ihnen ist. Wir werden sehr bald wissen, wo sich Maclean aufgehalten hat, als das Feuer ausbrach.« Gabriel stand auf und umrundete den Schreibtisch. »Ich habe einen Entschluss gefasst.« Er sah Eleanor an. »Einen Entschluss, der Sie und Juliana betrifft. Ich habe beschlossen, Sie beide nach London zu schicken. Sie werden dort bleiben, bis die Reparaturarbeiten fertig sind und ich herausgefunden habe, wer das Feuer gelegt hat. Wenn alle Angelegenheiten geregelt sind, kommen Sie hierher zurück.«
» London ?« Eleanor machte sich nicht die Mühe, ihr Entsetzen zu verbergen. »Warum so weit weg?«
»Weil Ihnen dort Seamus MacLean kein Leid zufügen kann. Es ist nicht nur das Feuer, Eleanor, sondern auch der Zwischenfall mit dem Schierling. Ich darf nicht riskieren, dass er es ein drittes Mal versucht. Es ist die beste Lösung. In
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