Weiße Nebel der Begierde
Niemand kann Ihnen das nehmen.«
Seine Worte berührten sie so sehr, dass sie das Gefühl hatte, gleich loszuweinen, deshalb schwieg sie.
»Es muss sehr schwer für Sie alle gewesen sein, Eleanor. Ich habe von Ihrem Bruder Christian gehört, obwohl ich mich nicht oft in der feinen Gesellschaft bewege. Er ist nach allem, was man so über ihn sagt, ein Ehrenmann und absolut integer. Da er zum Zeitpunkt des Duells noch ziemlich jung gewesen sein muss, nehme ich an, dass er Lord Herrick damals im Affekt und nicht aus Vorsatz getötet hat.«
Eleanor nickte. »Das weiß ich jetzt. Als Christian mir davon erzählt hat, war ich sehr verletzt und fühlte mich von ihm und meiner Mutter betrogen - ich war nicht imstande zu begreifen, was das alles für die beiden bedeutet haben muss, welche Last sie seit über zwanzig Jahren tragen. Sie leben in ständiger Angst, dass die Wahrheit eines Tages ans Licht kommt. Sie wissen sehr gut, wie grausam die Gesellschaft sein kann. Mein Bruder und meine Mutter fürchteten um meine Zukunft. Deshalb wollte ich reinen Tisch machen, bevor Sie eine Entscheidung für Ihres und Julianas weiteres Leben fällen. Es könnte immer noch alles ans Licht kommen. Es wäre -« sie suchte nach der richtigen Formulierung - »für jeden Mann schwierig, eine Ehe mit einer Frau in Erwägung zu ziehen, deren Herkunft nicht einwandfrei ist.«
Gabriel sagte nur: »Eigentlich ist es gar nicht schwierig. Wahrscheinlich ist es die leichteste Entscheidung, die dieser Mann jemals treffen musste ... Eleanor, ich nehme Ihren Antrag an.«
Sie heirateten auf dem Weg nach London eben in jenem Ort, in dem Eleanor, wie sie angedroht hatte, Richard Hartley nach der Flucht von zu Hause ehelichen wollte, in Gretna Green - genauer gesagt in einem kleinen Weiler außerhalb von Gretna namens Springfield, der auf der schottischen Seite des Flusses Sark lag.
Nachdem sie sich durchgefragt hatten, wurden sie zum Queen’s Head Inn dirigiert, einem winzigen, baufälligen Gasthof, der am Fuß des Springfield Hills und an der Mautstraße nach Longtown stand. Auf der anderen Straßenseite war kürzlich eine zweite Gaststätte errichtet worden, das Maxwell Arms, das dem kleinen Inn bei dem äußerst lukrativen Unternehmen machte, das als Geschäft mit »heimlichen Hochzeiten« bekannt war, Konkurrenz machte.
Gabriel sprach mit der Wirtin, Mrs Johnstone, einer heiteren Frau, die sie an der Tür begrüßte. Sie verwies Gabriel an Mr Robert Elliott, den »Ortspfarrer«, der offenbar seine Tage in der Schankstube bei Ale verbrachte und darauf wartete, ein Paar trauen zu dürfen.
Mr Elliott führte die Zeremonie gleich in der
Schankstube durch; Mrs Johnstone und ihr Diener Swaney waren die Trauzeugen. Juliana und Brighde waren Brautjungfern. Mairi hatte Eleanor nach dem Michaelisfest anvertraut, dass Brighdes Mutter Eibhlin verzweifelt sei, weil ihre Mutter, die in London wohnte und langsam wegen einer Krankheit dahinsiechte, ihre Enkelin noch nie gesehen hatte. Eibhlin war im achten Monat schwanger und konnte die weite Reise deshalb nicht antreten, also hatte Eleanor angeboten, die Kleine mitzunehmen, damit sie die Großmutter, von der sie ihren Namen hatte, kennen lernte, bevor es zu spät für eine Begegnung war. Eibhlin war Eleanor sehr dankbar für dieses Angebot.
Als Mr Elliott nach einem Ring verlangte, der den Bund der Ehe rechtskräftig machen sollte, erschrak Eleanor, weil sie sah, wie Gabriel einen aus seiner Manteltasche holte.
»Mairi hat ihn uns geschenkt«, flüsterte er ihr zu. »Sie sagte, er hat ihre Ehe mit Torquil fünfunddreißig Jahre gesegnet, und uns würde er doppelt so lange Glück bringen.«
Eleanor unterdrückte ihre Tränen, als Gabriel ihr den schlichten Goldring an den Finger steckte. Es war das anrührendste Geschenk, das sie jemals bekommen hatte und kostbarer als jeder Edelstein.
Nach einem Schluck Ale, das, wie Mrs Johnstone sagte, zur Zeremonie gehört und mit dem sie auf den frisch geschlossenen Bund anstießen, fuhren sie in der Abenddämmerung über die Grenze.
Schließlich machten sie Rast in einem kleinen
Dorf namens Kirkby Lonsdale, das etwas abseits von der Hauptstraße nach London zwischen den Seen von Yorkshire lag.
In der Dunkelheit konnten sie nicht viel mehr sehen als das trübe Kerzenlicht in den kleinen Fenstern der Steincottages, die die gewundene Straße zur Dorfmitte säumten. Dort blieben sie stehen und suchten nach dem nächsten Gasthof.
Es war Markttag, was
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