Weiße Stille
Diskussionen.«
»Was ist denn los?«
»In Breckenridge wurde eine tote FBI-Agentin gefunden.«
»Oh, verdammt. Wer?«
»Jean Transom. Sie hat in Glenwood gearbeitet. Nette Frau, sagen alle, großartige Agentin. Niemand weiß, was passiert ist.«
»War es Mord?«
»Ja. Und der Leichnam ist verschwunden.«
»Wie bitte?«
»In der Lawine.«
»Oh ja, ich hab’s in den Nachrichten gesehen.«
Ren nickte. »Dieser verdammte Schneesturm. Und ich leite die Ermittlungen.«
»Freut mich für dich.«
»Danke.«
Ren schaute an ihm vorbei. »Darf ich reinkommen?«
»Oh, entschuldige. Sicher.« Vincent trat einen Schritt zur Seite.
Als Ren an der Küche vorbeikam, warf sie einen Blick hinein. Auf dem Boden stand eine ganze Batterie leerer Bierflaschen, undauf der Arbeitsplatte darüber lag eine geöffnete Packung Ibuprofen.
Was habe ich dem armen Vincent angetan?
Ren stieg schnell die Treppe hinauf, packte mehr Sachen, als sie brauchte, in einen seiner schmucken Handkoffer und trug ihn hinunter in den Korridor. Vincent trank noch einen kräftigen Schluck Bier und lächelte sie traurig an.
»Weißt du was, Ren?«, sagte er. »Eines Tages werden all die negativen Emotionen, vor denen du davonläufst, dich einholen.«
Ren zuckte mit den Schultern. »Wenn sie mich bis jetzt nicht eingeholt haben …«
»Kriegen sie dich später. Eigentlich sollte mir das ja egal sein, ist es aber nicht.«
»Hör mal, auf mich wartet ein wichtiger Fall, an dem ich arbeiten muss.«
»Es wäre viel wichtiger, dass du an dir selbst arbeitest.«
Ren verdrehte die Augen. »Mit mir ist alles bestens.«
»Meine Güte, wie kannst du beruflich eine so große Verantwortung übernehmen, und im Privatleben lässt du es schleifen?«
»Das stimmt nicht, und das weißt du. Das kommt dir im Augenblick nur so vor.«
»Nein, es stimmt.«
»Ist ja auch egal. Dir gefällt es, mir Dinge vorzuhalten, nicht wahr? Du bist charakterlich gefestigt und zuverlässig, und ich laufe vor jedem Mist davon.«
»Du bist die einzige Person, die ich kenne, die ›egal‹ sagt und sich dann verteidigt. Die meisten Leute sagen ›egal‹ und meinen es auch so.«
»Versuchst du jetzt, mir das Wort im Mund herumzudrehen? Meinst du, das funktioniert?«
»Bei dir funktioniert gar nichts. Das ist es ja gerade.«
Ren funkelte ihn an.
»Glaubst du, du kommst ohne mich besser klar?«, fragte Vincent.
»Was willst du jetzt von mir hören? Auf diese Frage gibt es keine passende Antwort. Mir geht es gut, okay?«
»Ich weiß, ich sollte es nicht tun, und ich will es auch gar nicht, aber ich mache mir Sorgen um dich, Ren.« Vincent streichelte ihre Wange.
Ren schaute ihn an und spürte, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. »Scheiße«, sagte sie.
»Immerhin hast du noch Gefühle«, sagte Vincent.
Salem Swade sah aus, als wäre er völlig durch den Wind, und das war in diesem Fall wörtlich zu verstehen. Sein dünnes graues Haar war wirr und zerzaust, er blinzelte ständig, und seine Bewegungen waren seltsam abgehackt. Er hatte wasserblaue Augen, die man als auffallend schön hätte bezeichnen können, doch bei einem ungepflegt wirkenden alten Mann, der allein die Main Street entlangschlurfte und Selbstgespräche führte, schauten die Leute eher zur Seite als in die Augen.
In einem großen grünen Parka, grauer Baumwollhose und dicken Wadenstrümpfen stand Salem Swade mit den Zigarette rauchenden Anwälten vor dem Gericht von Summit County.
»Ihr Kerle seid Sklaven«, sagte Salem lächelnd.
Die Anwälte lachten. »Ja, Sklaven des Rechts«, sagte einer von ihnen.
Salem stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Hatten Sie heute schon ein paar Erfolge zu verzeichnen?«
»Wir sind noch hier«, sagte der Anwalt ungerührt.
»Als Zeuge eines möglicherweise verdächtigen Vorgangs«, sagte Salem, »könnte ich Sheriff Gage vielleicht zu einem Erfolg verhelfen.«
»Freut mich für Sie. Möchten Sie eine Zigarette?«
»Danke, nein. Ich bin Passivraucher«, erwiderte Salem.
»Wir stehen Ihnen gerne zu Diensten«, sagten die Männer.
Salem nickte. »Sie sind schwer in Ordnung. Okay, dann wollen wir jetzt mal reingehen.« Er schlug sich auf den Oberschenkel,worauf ein schmutziger, schwarz-weißer Border Collie langsam von seinem Platz unter einer Bank hinter den Männern aufstand. Hilfssheriff Mike Delaney traf sie in der Eingangshalle und führte sie durch die Sicherheitskontrolle.
»Wie geht es dir, Salem?«, fragte Mike. »Danke, dass du so spät noch gekommen
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