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Weiße Stille

Weiße Stille

Titel: Weiße Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Barclay
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Kneipe, auf dem vor hundert Jahren vermutlich Fuhrwerke gestanden hatten. Heute Abend parkten hier mehrere Pickups. Ren zog den Reißverschluss ihrer Jacke bis zum Kinn hoch und setzte sich eine Fliesmütze auf.
    »Gehen wir«, sagte Todd und wollte aussteigen.
    »Ich hätte eine Bitte …«, sagte Ren.
    »Ich soll hier draußen warten, stimmt’s?« Todds Augen funkelten bei dem Gedanken an diese Demütigung.
    Ren nickte. »Jean ist auch alleine hierhergekommen. Und ich vermute, es gab einen Grund dafür. Vielleicht kommt Billy Waites besser mit Frauen klar. Vielleicht schüchtern blonde Männer ihn ein.« Sie lächelte, doch Todds Miene blieb ernst.
    »Also gut«, sagte er. »Wie Sie meinen. Ich bleibe hier und spiele mit den Bären, wenn welche vorbeikommen.«
    »Danke, Todd.«
    Ren ging zur Tür, drückte dreimal dagegen und stemmte sie schließlich mit der Schulter auf. In dem quadratischen Eingangsbereich löste sich die Tapete von den Wänden, die Farbe blätterte ab, und die Bodendielen knarrten. Auf den Fotos an den Wänden schlangen längst verstorbene Alkoholiker die Arme um anderelängst verstorbene Alkoholiker. Es gab auch ein paar neuere Bilder von heruntergekommenen Stammgästen – ein jämmerlicher Haufen. Ein Schwarz-Weiß-Foto fiel Ren besonders ins Auge. Darauf war zu sehen, dass Brockton Filly, das »Brockton-Fohlen«, ihren Namen offensichtlich mehr nach ihrem Pferdgebiss als nach ihrem Naturell bekommen hatte. Brockton Beauty, die »Brockton-Schönheit«, hätte zwar besser geklungen, hätte aber dazu führen können, dass die Dame wegen Vorspiegelung falscher Tatsachen aus Colorado verjagt worden wäre.
    Ren betrat die Kneipe, in der ein paar zwielichtige Gestalten saßen. Sie erkannte Billy Waites auf Anhieb, obwohl er auf dem Verbrecherfoto bärtig, ungepflegt und bekifft ausgesehen hatte. Ohne den Bart, mit kurzem Haar und klaren Augen sah er gleich zehnmal besser aus.
    Ren ließ den Blick durch die Kneipe schweifen.
    In der Ecke neben der Herrentoilette sah sie eine Frau, die schief auf ihrem Hocker hing und mit beiden Händen einen fast leeren Bierkrug umklammerte. Ren kannte diese Sorte Frauen. Für ein Bier holten sie Männern auf der Toilette einen runter oder bliesen ihnen einen. An dem Tag, an dem Gott das gute Aussehen verteilt hatte, hatte die Frau in einer Schlange an der Theke gestanden. Und am All-you-can-eat-Buffet. Und in der Kosmetikabteilung. Sie trug einen Rock, der so kurz war, dass man froh sein konnte, wenn sie nicht die Beine übereinanderschlug. Ein knallenges schwarzes Stretch-Top mit einem riesigen Dekolletee ließ ihre Brüste hervorquellen wie fleischfarbene Luftballons. Und um auf Nummer sicher zu gehen, deutete ein hübscher silberner Anhänger auf das tiefe Tal dazwischen.
    Irgendwann hatte man eine Familie, irgendwann verlor man geliebte Menschen, und irgendwann gab man sich selbst auf.
    »Hallo«, sagte Ren. »Ganz schön kalt heute.«
    »Stimmt«, erwiderte die Frau freundlicher als erwartet. »Hier drinnen ist es jedenfalls gemütlich warm. Was macht eine feine Dame wie Sie in einer solchen Spelunke?«
    »Feine Dame?« Ren lachte. »Jedenfalls bin ich nicht fein genug, dass ich nicht hierherkomme und ein preiswertes Bier trinke.«
    »Setzen Sie sich. Ich heiße Jo.« Die Frau zeigte auf den Hocker gegenüber.
    »Ich bin Rachel«, sagte Ren und nahm Platz. »Darf ich Ihnen einen ausgeben?«
    Jo schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«
    »Sicher?« Dann müsstest du dich einmal weniger auf die kalten Fliesen in der Herrentoilette knien.
    Jo nickte. »Ja. Aber Sie könnten mir ein bisschen Kleingeld für die Jukebox geben.«
    »Gerne.« Ren drückte ihr ein paar Münzen in die Hand.
    Jo stand mühsam auf und ging zur Jukebox. Vor ihren Augen verschwamm alles, als sie auf die blinkenden Lämpchen und Schriftzüge schaute.
    »Hast du ’nen bestimmten Wunsch, Billy?«, rief sie.
    »Damenwahl«, erwiderte Waites und zog ein sauberes Geschirrtuch unter der Theke hervor.
    Jo schob eine Münze in den Schlitz und drückte mehrere Tasten, worauf ein Song erklang, den Ren nicht kannte.
    »Was darf ich Ihnen bringen?«, fragte Billy.
    »Mal überlegen«, sagte Ren, stand auf und ging zu ihm. »Hm, eine Flasche Coors. Übrigens, ich bin eine Freundin von Jean.«
    »Das dachte ich mir schon.« Billy drehte Ren den Rücken zu, nahm eine Flasche Coors aus dem Kühlschrank und reichte sie ihr, wobei er zu Jo hinüberschaute, die gerade in Richtung Männertoilette

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