Weiße Stille
machen.«
»Das ist nicht fair.«
Ren kehrte an die Rezeption zurück. »Würden Sie mich bitte zum Gaffney’s fahren?«
»Ein sehr gutes Lokal«, sagte der junge Mann.
»Ja. Teuflisch gut.«
Rens Wagen stand genau dort, wo sie ihn nicht vermutet hatte. Sie stieg ein, stellte die Lehne ein Stück zurück und schaltetedie Heizung auf die höchste Stufe. Dann wählte sie Helens Nummer.
»Ich habe es wieder getan.«
»Was haben Sie wieder getan?«, fragte Helen.
»Billy.«
»Okay. Sagen Sie mir, was passiert ist.«
»Ich war hier … ich bin in Denver. Billy war ebenfalls hier. Er rief mich an, und wir haben uns getroffen. Wir haben in einem Hotel übernachtet.«
»Und wie fühlen Sie sich heute Morgen?«
»Ich weiß nicht … Ich mag ihn wirklich. Ich habe seit unserem letzten Treffen ununterbrochen an ihn gedacht. Er hat etwas an sich, das ich nicht beschreiben kann. Aber ich mache mir Sorgen. Ich habe ein ungutes Gefühl. Warum, weiß ich nicht. Weil ich ihm nicht traue, oder weil ich mich in ihn verliebt habe?« Sie lehnte sich zurück. »Es hört sich albern an, ich weiß. Schließlich bin ich sechsunddreißig.«
»Glauben Sie, es gibt für Sie beide eine gemeinsame Zukunft?«
»Ich weiß es nicht. Muss ich das wissen?«
»Ich dachte, ich hole Sie mal in die Realität zurück.«
»Wenn ich die Sache logisch betrachte, gibt es keine gemeinsame Zukunft für uns. Ich meine, soll ich ihn zur Weihnachtsfeier unserer Sondereinheit mitnehmen? Nein. Soll ich ihn meiner Mutter vorstellen? Nein. Werde ich irgendetwas anderes tun, als mich monatelang mit ihm in Hotelzimmern zu verstecken? Nein.«
»Das sind eine Menge Neins.«
»Eben drum.« Ren betrachtete sich im Rückspiegel. »Warum tue ich das?«
»Diese Frage können nur Sie allein beantworten, Ren.«
Mit einem schlechten Gewissen und wahnsinnigen Kopfschmerzen kehrte Ren ins Büro des Sheriffs zurück. Sie trank Kaffee und Wasser, schluckte Vitamin C und kam schließlich zu dem Schluss, dass ihr ein Spaziergang an der frischen Luft guttun würde. Beider Gelegenheit könnte sie Charlie Barger gleich einen Besuch abstatten.
Shannon Barger öffnete die Tür einen Spalt. Das helle Sonnenlicht war nicht sehr vorteilhaft für sie: Shannon war ein fünfundvierzigjähriges Wrack.
»Hallo«, sagte Ren. »Ist Ihr Vater da?«
Shannon hielt sich am Türrahmen fest. Die tief geschnittene Jogginghose entblößte ihre nackten, knochigen Hüften. Ihr dünnes, kastanienbraunes Haar hatte sie mit einem braunen Gummiband oben auf dem Kopf zusammengebunden. Ohne ein Wort zu sagen, öffnete sie die Tür und schlurfte davon.
Ein sonderbares Benehmen.
Ren klopfte an Charlie Bargers Tür. Es dauerte einen Moment, bis er öffnete.
»Guten Tag. Ich bin Ren Bryce. Sie haben mir neulich geholfen, als ich an der Höhenkrankheit litt.« Ren lächelte.
»Oh ja, ich kann mich erinnern. Sie sind vom FBI. Mike Delaney … ja. Ich erinnere mich.«
»Vielleicht könnten Sie mir noch einmal helfen. Ich recherchiere in einem Fall und bin dabei auf Ihr Haus gestoßen«, sagte sie. »Genauer gesagt, auf das Cheapshot Inn.«
Barger blickte verwirrt drein. »Kommen Sie erst mal herein. Ich koche uns Kaffee.«
»Danke.«
Barger ging ihr voraus durch den dunklen Korridor. Er trug Pantoffeln aus Schaffell, die seine Schritte dämpften. Rens Absätze versanken im Teppich. Sie fragte sich, ob sie ihn mit ihren Schuhen ruinierte. Doch Bargers Strickjacke und die Jeans, die zwar teuer, aber abgetragen waren, erinnerten sie daran, dass in diesem Haus ohnehin alles seinen Glanz verloren hatte.
»Ich habe dieses Foto mit den Leuten vor diesem Haus in der Touristeninformation gesehen«, sagte Ren. »Der Name ist großartig. Cheap shot – billige Drinks. Darauf sind eine Menge junger Leute aus, nicht wahr? Sie geben ihr ganzes Geld für Skipässe aus.Dann kommen sie von den Pisten und suchen eine Kneipe, wo die Drinks nicht so teuer sind.«
Barger stand an der Spüle in der Küche und ließ Wasser in den roten Kessel laufen. »Ich kann Ihnen leider nur Kaffee anbieten«, sagte er.
»Das ist okay. So jung bin ich nicht mehr.«
Er drehte sich zu ihr um. »Ich schätze, ich bin doppelt so alt wie Sie. Darum sind Sie für mich eine sehr junge Frau.«
Ren nickte.
»Also, was kann ich für Sie tun?«, fragte Barger.
»Ich wollte Sie nach diesem Mann hier fragen.« Sie legte das Foto von Mark Wilson auf den Tisch.
»Ich weiß, wer das ist. Der Mann, der im letzten Jahr spurlos
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