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Weißer Mann mit Brille

Weißer Mann mit Brille

Titel: Weißer Mann mit Brille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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doch nur sie hielt es weiter so.
    »Wie ist das Ganze gekommen?« fragte sie.
    Aber sie wartete seine Antwort nicht ab.
    »Wie dumm von mir! Als ob ich es nicht ebensogut wüßte wie du! Glaubst du, daß er zurückkommt?«
    »Ganz bestimmt!« behauptete Camille mit großem Nachdruck.
    »Wieso bist du da so sicher?«
    »Einmal muß er die Sache doch überstanden haben.«
    Ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht.
    »Glaubst du denn, daß er krank war?«
    Erst jetzt vermochte sie das Haus und die Landschaft in Ruhe in sich aufzunehmen. Sie erkannte das Gewehr an der Wand, das er ihr zugedacht hatte, wenn sie bei ihm sein würde.
    »Hielten sie sich in diesem Raum auf?«
    »Nein, fast immer auf der Barza … Da regnete es noch nicht. Die beiden letzten Wochen waren wirklich sehr unangenehm, drückend heiß und gewittrig. Andauernd fragte man sich, wann denn die Regenfälle endlich einsetzen würden …«
    Allmählich löste sich ihre innere Spannung. Ihre harte Entschlossenheit war gleichsam von ihr abgefallen. Mit glanzlosen Augen betrachtete sie einen Gegenstand um den anderen, und mit einem Mal überfiel sie die Müdigkeit nach der langen Reise.
    »Kennst du einen Mann namens Macassis?«
    »Ja! Er ist ein Freund von Ferdinand.«
    »Wir müssen dann gleich über Geschäftliches reden.«
    »Morgen ist noch früh genug«, wehrte Camille ab.
    »Nein! Ich muß mich sofort darum kümmern. Das wird mir guttun. Übrigens … Die Schwarze, die uns das Essen aufgetragen hat … Ist sie das?«
    Er nickte.
    »Rufe sie herein! Ich habe sie nicht genau angesehen.«
    Mit vor Neugierde geweiteten Augen stand Baligi vor ihr, während Emilienne sie von Kopf bis Fuß betrachtete.
    »Du bist also Baligi?«
    »Ja, Madame.«
    »Hübsch bist du! … Geh jetzt! …«
    Sie schleppte sich bis zu Ferdinands Zimmer, um eine Aspirintablette aus ihrem Koffer zu nehmen. Die Schläfen schmerzten sie, ihr Kopf war schwer. Es regnete immer noch. Bald würde es Zeit sein, die Lampen anzuzünden.
    Sie setzte sich auf die Bettkante, dann streckte sie sich aus. Sie wollte nur für fünf Minuten die Augen schließen, damit das Aspirin seine Wirkung tun konnte.
    Eine Stunde später schaute Camille herein, den die Stille im Haus beunruhigt hatte. Sie lag völlig angezogen auf dem Bett, in tiefen Schlaf versunken. Er entfernte sich auf den Zehenspitzen.
     
    In Moulins fuhr Emilienne das Auto ihres Vaters, denn der Notar war dazu völlig unfähig. Wenn er wegen eines Grundstücksverkaufs auf dem Land zu tun hatte, mußte sie ihn dorthin begleiten.
    Sie konnte stundenlang reglos am Steuer sitzen. Ihr Gesicht war so angespannt, daß es den Anschein hatte, ihre Gedanken kreisten ausschließlich um die Unebenheiten der Straße.
    Camille, der neben ihr saß, versuchte mehrmals, ein Gespräch anzuknüpfen, aber er bekam nur sehr einsilbige Antworten.
    Gegen neun Uhr morgens – sie waren schon seit einer guten Stunde unterwegs – zeigte sich ein breiter Riß in der Wolkendecke, dann begann er zu leuchten, und einige Minuten darauf, während es weiterhin in Strömen regnete, brach siegreich die strahlende Sonne durch, gleichsam bekränzt von den gewaltigen Wassermassen.
    Eine halbe Stunde später war der mit rotem Staub bedeckte Weg trocken, auf beiden Seiten freilich von Bächen gesäumt. Sie waren noch zwanzig Kilometer von Niangara entfernt, als Emilienne von einem dumpfen Lärm aufgeschreckt wurde, der zugleich aus nächster Nähe und in weiter Ferne zu ertönen schien und den man unmöglich identifizieren, noch weniger lokalisieren konnte. Es hörte sich an wie das Getöse einer vorrückenden Armee oder einer schreienden, erregten Menschenmenge, dann wiederum wie unterirdisches Donnergrollen.
    Camille, der keinen Blick von ihr ließ, war die leichte Veränderung in ihrer Mimik nicht entgangen.
    »Die Tamtams«, beruhigte er sie.
    »Ach so! Ich habe schon mal welche gehört, aber es klang ganz anders …«
    Er suchte nach einer Erklärung, doch als er plötzlich eine von Eingeborenen getragene Sänfte gewahrte, in der ein anderer Schwarzer saß, ging ihm ein Licht auf:
    »Das hatte ich ganz vergessen! Heute und morgen finden in Niangara die großen Palaver statt …«
    »Was ist das?«
    »Zweimal im Jahr begeben sich die Eingeborenenhäuptlinge in die Bezirkshauptstadt und halten dort großen Gerichtstag, wo über schwere Verbrechen verhandelt wird, wie Entführungen, Ehebruch, Ziegendiebstahl …«
    Sie aber hörte ihm nicht mehr zu. Hin und wieder

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