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Weißer Mond von Barbados

Titel: Weißer Mond von Barbados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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Unglück geschah.
    Nun war sie so weit hergestellt, daß sie das Hospital verlassen konnte. Aber sie scheute sich davor, diese ruhige Welt zu verlassen. Die Nonnen waren sehr verständnisvoll. Sie könne bleiben, solange sie wolle, hatte die Oberin gesagt, die sie manchmal besuchen kam. Sie schien zu begreifen, daß die Wunden ihres Körpers schneller geheilt waren als die Wunden ihres Herzens und ihrer Seele.
    Aber Judith wußte, daß sie sich nicht für immer hier verstecken konnte. Sie mußte sich wieder dem Leben stellen. Nancy war es, die den Anstoß gab. Sie kündete erneut ihren Besuch an und schrieb, daß sie zusammen mit Judith nach Hause fliegen würde, dann würden sie erst einmal zusammen Ferien machen, Sam Nielson bestehe darauf.
    Judith hatte nicht die Energie, sie alle zurückzuweisen. Und einmal mußte es ja sein.
    Sie lehnte sich etwas vor in ihrem Stuhl, es ging auf den Abend zu, erste graue Schatten lagerten über dem Meer. Das hatte sie damals auch immer beobachtet, als sie das erstemal nach Barbados kam. In jenen Tagen, als sie noch allein war. Als sie allein war und sich einbildete, unglücklich zu sein. Unglücklich wegen einer dummen lächerlichen Liebesaffäre mit einem verheirateten Mann. Von heute aus gesehen, kam es ihr so läppisch vor. Der Vergleich mit dem, was sie jetzt empfand, war so unsinnig, daß sie mit einer heftigen Bewegung aufstand. Ein Schmerz durchzuckte ihren Arm. Sie mußte sich immer noch vorsichtig bewegen.
    Unglücklich – hatte sie denn überhaupt gewußt, was Unglück war? Was Leid war, Schmerz, Trauer? Der Tod ihres Vaters, der Tod ihres Mannes, von Richard Paterson ganz zu schweigen – was war das alles gewesen?
    Aber nun war Sverdlov tot. Sein Tod war das Ende ihres Lebens. Es war ganz unbegreiflich. – Ich liebe ihn nicht, hatte sie sich immer vorgesagt. Es war kein Liebesverhältnis gewesen, sie hatte ihn immer wieder abgewiesen. Warum also sollte sie um ihn weinen? Das Dunkel über dem Meer wuchs schnell. Die Westindische Nacht brach früh herein. Bald würde die Schwester kommen und Licht anmachen. Es war gut, so im Halbdunkel zu sein. Sie setzte sich wieder, starrte blicklos hinaus in die Dämmerung.
    Es klopfte an der Tür. Sie rührte sich nicht, wandte sich nicht um, als die Tür geöffnet wurde.
    »Guten Abend, Mrs. Farrow. Darf ich Licht machen?«
    Es war Jack Loder. Er knipste den Schalter neben der Tür an, und das milde Licht aus der runden Kugel unter der Decke blendete sie zunächst.
    Er kam langsam auf sie zu, streckte ihr die Hand entgegen. Sie bewegte sich nicht, sprach kein Wort, sah zu ihm auf. Er hustete verlegen und steckte die Hand in die Tasche. Sie sah sehr schlecht aus, fand er.
    »Was wollen Sie hier?« sagte Judith. »Gehen Sie fort. Ich weiß nicht, warum Sie hierher gekommen sind. Bitte, gehen Sie.«
    »Ich verstehe Ihre Gefühle«, sagte Loder und setzte sich vorsichtig auf die äußerste Ecke des Bettes. »Ich dachte halt, ich müßte mal kommen und schauen, wie es Ihnen geht.«
    »Danke«, sagte sie, »es geht mir gut, Sie sehen es ja. Ich habe keine Lust zu einem Gespräch, also bitte gehen Sie.«
    Er stand auf und trat vor sie hin.
    »Es war nicht meine Schuld. Es ist nicht recht, daß Sie mir jetzt Vorwürfe machen. Ich habe getan, was ich konnte. Oder war ich es, der die Tür offengelassen hat?«
    »Nein«, sagte Judith. »Ich war es. Ich habe die Tür nicht richtig zugemacht. Glauben Sie nicht, daß ich verrückt werde bei dem Gedanken, daß es meine Schuld war?«
    »Wir haben das Papier von ›Blau‹ verloren. Es ist mit verbrannt.«
    »Oh, lassen Sie mich mit Ihrem verdammten Blau in Ruhe. Was interessiert mich dieses dreckige Spionagezeug!«
    Sie fing an zu weinen. Sie neigte den Kopf nach vorn, er sah ihr Gesicht nicht, er sah nur die Tränen, die in ihren Schoß tropften. Sie gab keinen Laut von sich. Er hatte noch nie eine Frau auf diese Weise weinen sehen, es war ein so tiefer Jammer um ihre gebeugte Gestalt, daß ihm ganz eng ums Herz wurde.
    »Weinen Sie doch nicht«, sagte er unbehaglich. »Er ist es nicht wert. Sie kannten ihn nicht wirklich. Er hat nur bekommen, was er verdient.«
    Sie hob den Kopf. »Gehen Sie fort!«
    »Er war der KGB. Er selbst.«
    Loder zündete sich eine Zigarette an. »Er hat auch mit diesen Mitteln gearbeitet. Denken Sie daran, was er war und Sie werden keine einzige Träne mehr um ihn vergießen.«
    »Es ist mir egal, was er war. Ich kenne ihn besser. Er ist in diesen schrecklichen

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